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Meinung: In der Verfassung

Von Josef Homeyer WO IST GOTT? Der Name Gottes taugt für alles Mögliche: für frommes Getue, für Koppelschlösser, für choralgetränkte Feierlichkeiten.

Von Josef Homeyer

WO IST GOTT?

Der Name Gottes taugt für alles Mögliche: für frommes Getue, für Koppelschlösser, für choralgetränkte Feierlichkeiten. Der Name Gottes stand für einen jahrhundertelangen europäischen Bürgerkrieg, für Verbrennung von Frauen nach Hexenprozessen, für Missachtung des Fremden, für koloniale Unterwerfung. So sagt der kritische Zeitgeist.

Forsch werden die anderen, die besseren großen Wörter aufgerufen: Freiheit, Selbstbestimmung, Vernunft, Emanzipation. Allerdings geht es uns mit diesen Erbschaften nicht sehr viel anders als mit den religiösen Traditionen. Im europäischen Gedächtnis steht immer wieder Faktizität gegen Geltung: Emanzipation war immer auch Fortschritt auf Kosten anderer, Vernunft vermochte keineswegs die Sprachlosen zur Sprache zu bringen, Selbstbestimmung grabschte immer auch haltlos in die Natur und Umwelt. In allen großen Wörtern scheint das kalte Grinsen der Macht durch.

Das ist die Ausgangslage, so stehen wir am Fuß einer neuen Verfassung Europas: auf verbrannter Erde nämlich. Und es gehört zur Würde Europas, dieses Gedächtnis zerstörter Hoffnungen zu bewahren. Wenn wir im Konvent einen Entwurf für eine EUVerfassung beraten, dann geht es auch um eine Auseinandersetzung mit dieser Geschichte. Dabei hilft es wenig, buchhalterisch das Gelingen dem Misslingen aufzurechnen. Vielmehr sind Maßstäbe aufzurufen: die des griechischen Universalismus, des römischen Rechts, des aufgeklärten Primats praktischer Vernunft, der christlichen Erinnerung und Hoffnung.

Sind wir berechtigt, in dieser verfassungsrechtlichen Vergewisserung der Maßstäbe und humanen Kerne Europas den Namen Gottes zu verschweigen? Wir sind berechtigt und verpflichtet, die Möglichkeit der Verneinung Gottes verfassungsrechtlich zu sichern. Die atheistischen und säkularen Präferenzen der Bürger sind ebenso schutzwürdig wie die religiösen Einstellungen anderer. Dies sage ich nicht aus liberaler Heiterkeit, sondern weil ich überzeugt bin, dass der Name Gottes nicht gegen menschliche Freiheit in Stellung gebracht werden darf. Der Gott und Vater Jesu Christi kann nicht verordnet werden, weil die Bergpredigt nicht widerrufen werden darf.

Eine europäische Verfassung muss die Möglichkeit sichern, Gott zu verneinen: menschenrechtliche Religionsfreiheit also. Wir sind berechtigt zu verneinen; sind wir auch berechtigt zu verschweigen? Wir sind es nicht! Wir, die Europäer auf verbrannter Erde, sind untereinander verbunden durch Maßstäbe und Erinnerung. Wir haben in unserer Verfassung mithin Rechenschaft zu geben vor dem monströsesten Verbrechen der Menschheit: Auschwitz. In Auschwitz wurde – erstickend, schreiend – millionenfach der Name Gottes angerufen: „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, ist einzig." War diese Anrufung Gottes eine millionenfache Privatsache? Oder war die Anrufung Gottes in Auschwitz nicht letzte Anrufung zukünftiger Humanität, von Recht und Freiheit im Namen Gottes? Was halten eigentlich unsere jüdischen Mitbürger heute in Paris, Warschau oder Berlin davon, wenn Gott in der Präambel einer zukünftigen europäischen Verfassung verschwiegen wird? Wir sind verpflichtet, verneinen zu können, wir sind nicht berechtigt, zu verschweigen.

Der Autor ist Bischof von Hildesheim und Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der EU (COMECE).

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