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Meinung: Intellektuelle im Krieg: An der Heimatfront ist Ruhe

Intellektuelle erkennt man auch daran, dass sie Sätze sagen, die kein Politiker auszusprechen wagte: "Im Augenblick", so heißt es in der Dankesrede von Jürgen Habermas für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, "bleibt uns nicht viel mehr als die fahle Hoffnung auf eine List der Vernunft." Wahrscheinlich enthält dieser skeptische Kommentar zur Lage der Welt nach dem 11.

Intellektuelle erkennt man auch daran, dass sie Sätze sagen, die kein Politiker auszusprechen wagte: "Im Augenblick", so heißt es in der Dankesrede von Jürgen Habermas für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, "bleibt uns nicht viel mehr als die fahle Hoffnung auf eine List der Vernunft." Wahrscheinlich enthält dieser skeptische Kommentar zur Lage der Welt nach dem 11. September 2001 mehr Wahrheit als vieles, was bisher von den großen Staatenlenkern zu hören war. Doch würden die Deutschen es ertragen, spräche Gerhard Schröder so zu ihnen? Würde Amerika, würde die zivilisierte Welt George W. Bush für derartig beunruhigend ruhige Worte loben?

Natürlich nicht, denn von ihnen wird Handeln verlangt - beherzt, zielstrebig, effektiv. Und mit dem, was in einer gefährdeten Sicherheitslage von ihnen erwartet wird, füllen diese Politiker - zumindest in Deutschland - unversehens auch noch jene gesellschaftliche Rolle aus, die gemeinhin doch eher die Sache der Intellektuellen ist: Sie sind jetzt die Ruhestörer, die, wie Schröder in der vergangenen Woche, dem Schrecken des Terrors die Provokation der mentalen Aufrüstung einer sicherheitsverwöhnten Gesellschaft folgen lassen.

Verkehrte Welten, allerorten: In der Gentechnik-Debatte war es der Bundespräsident, der zuerst und am nachhaltigsten das mahnende Gewissen der Republik gegen blinde Fortschrittsgläubigkeit und Entwürdigung menschlichen Lebens auf Begriffe brachte. Im Streit um die zivilisatorische Überlegenheit der christlich-jüdischen Kultur ist es nicht ein Philosoph des Multikulti oder einer der Großdenker im Dialog der Kulturen, sondern Kardinal Ratzinger, im Hauptberuf eigentlich der selbstbewusste Vertreter des römisch-katholischen Anspruchs auf religöse Überlegenheit, der vor Anmaßung gegenüber dem Islam warnt. Das am heftigsten umstrittene Reizwort zur gegenwärtigen Krise - "Kampf der Kulturen" - stammt von dem Amerikaner Sam Huntington, ein geradezu nüchtern-kühler Antityp zum deutschen Intellektuellen, dessen Geist irgendwo zwischen Kopf und Herz verortet ist. Den intellektuellen Kritikerpart in der deutschen Globalisierungsdiskussion muss Oskar Lafontaine fast alleine schultern - kein Schriftsteller, kein Philosoph steht ihm wirkungsvoll zur Seite. Und Günter Grass richtet seine Zweifel am amerikanischen und westlichen Willen zur Wehr nicht etwa wortgewaltig an die deutsche Öffentlichkeit, sondern erörtert diese vertraulich mit dem Bundeskanzler.

Widerspruch des Geistes gegen die Macht hat oft genug und reichlich Gebrauch vom Menschenrecht auf Irrtum gemacht. Sollte man die Ruhe an der Heimatfront daher nicht doch begrüßen? Besser nicht. Denn so lästig, ja, oft genug auch ärgerlich, die Gegenstellung unserer Denker zu den Machern - so auch unmittelbar nach dem 11. Septemer - ist: Ihre Provokationen, Ruhestörungen, Utopien haben fast immer noch Gutes bewirkt. Selbst dort, wo sie falsch lagen, haben sie die etablierten Systeme trainiert, zu präziserem Denken, zu bedächtigerem Handeln, zu aufrichtigerem Reden angehalten und damit die demokratische Kultur befördert. Und oft genug ist aus Falschem Richtiges gewachsen, aus der schroffen Ablehnung von Adenauers Westpolitik, beispielsweise, die spätere Ostpolitik.

Wahrscheinlich war es nur der Verlegenheit um ein groß klingendes Wort geschuldet, dass Joschka Fischer bei der Gratulation zum Friedenspreis Habermas "fast zum Staatsphilosophen des deutschen Staates" promovierte. Denn ein solcher Titel wäre nichts anderes als der Todeskuss für einen kritischen Geist.

Peter Siebenmorgen

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