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Meinung: Ist Arbeit plötzlich unsozial?

Von Peter Siebenmorgen Noch sind Siegeswille und -zuversicht in CDU und CSU zu stark, als dass schon jetzt mit einem Aufbrechen alter Rivalitäten oder neuer selbstzerstörerischer Streitereien zu rechnen wäre. Ein Hauptgrund für die neue Eintracht liegt ja auch darin, dass dieses Mal ausgerechnet der größte Störenfried aus früheren Tagen, die kleinere bayerische Schwester, auf Geschlossenheit Wert legen muss.

Von Peter Siebenmorgen

Noch sind Siegeswille und -zuversicht in CDU und CSU zu stark, als dass schon jetzt mit einem Aufbrechen alter Rivalitäten oder neuer selbstzerstörerischer Streitereien zu rechnen wäre. Ein Hauptgrund für die neue Eintracht liegt ja auch darin, dass dieses Mal ausgerechnet der größte Störenfried aus früheren Tagen, die kleinere bayerische Schwester, auf Geschlossenheit Wert legen muss. Schließlich ist ihr Vorsitzender der gemeinsame Kanzlerkandidat. So lange die Gradmesser für die Richtigkeit seiner Strategie, die Meinungsumfragen, die Union sicher vorne sehen, ballen die vielen Unzufriedenen in den eigenen Reihen lieber die Faust in der Tasche, als durch offenes Murren die Einheit und damit auch die Erfolgschancen zu beeinträchtigen.

Dennoch wachsen allmählich die Zweifel – und die neueren demoskopischen Befunde verstärken diesen Trend –, ob Stoibers Kurs wirklich zum Ziel führt. Von Kurs und Führung kann tatsächlich keine Rede sein. Vielmehr hat sich die Union bislang nach vorne treiben lassen, der Wind stand gut. Keine Festlegungen, keine konkreten Handlungsankündigungen, nichts, was den scheuen Wähler verschrecken könnte. Der einzige Aktivposten in der Unionskampagne bleibt einstweilen die geschickte Inszenierung des Kompetenzteams. Der Rest ist Opportunismus und Reaktion auf den gerade am stärksten empfundenen Druck, wie die Demontage von Katherina Reiche noch vor ihrer Berufung in das Kompetenz-Team bewiesen hat.

Seitdem sich Gerhard Schröder auf das Unions-Motto für den Wahlkampf besonnen hat – „Zeit für Taten" – und wieder politischen Gestaltungswillen zeigt, gerät der im programmatisch Ungefähren tänzelnde Kandidat ins Stolpern. Auch eine Woche nach der Platzierung der Hartz-Vorschläge zur Reform der Arbeitsmarktpolitik ergibt sich kein klares Bild, was die Union eigentlich will: Späth und Merz, die als Kompetenzleute für Wirtschaft und Finanzen etwas von der Sache verstehen, sehen das nicht so verbissen: Die Richtung stimme, über manche Details müsse man noch reden. Stoiber dagegen findet alles fürchterlich, schließlich kommen die Vorschläge vom politischen Gegner.

Weil deren Umsetzung auch Abschied von Besitzständen und lieb gewonnenen Gewohnheiten bedeuten würde, eignen sie sich im Übrigen für sozial-populistische Demagogie. Sozial ist, was Arbeit schafft – so hatte einst die Union als Regierungspartei argumentiert und damit notwendige Umbaumaßnahmen des Sozialstaates rechtfertigen wollen. Heute wirft Stoiber eben dies dem Kanzler vor: Unsozial ist, was Arbeit schafft.

Allmählich mehren sich so bei jenen, die in der Union unverdrossen an den Sieg glauben, die Bedenken, ob dieser dann nicht doch für einen zu hohen Preis erkauft wird. Die einzige präzise Auskunft, die von Stoiber über sein Regierungsprogramm zu erhalten ist, lautet: Allen wohl und niemand weh. Vielleicht wird ihm eine Mehrheit der Wähler dies sogar abnehmen. Doch spätestens nach einem Wahlsieg müsste Stoiber dann manchen – womöglich vielen – weh tun, um der Gesamtheit wohl zu tun.

Eben diesen Schwenk möchten führende Unionspolitiker nicht mitmachen. Roland Koch und Christian Wulff werden kurz nach der Bundestagswahl in Hessen und Niedersachsen um die Macht kämpfen; deshalb wollen sie keine Zumutungen mittragen, die nicht vor dem 22. September offen angekündigt wurden. Je näher der Wahltag rückt, desto genauer will vielleicht sogar der Wähler dies vom Kandidaten wissen. „Die Wahrheit ist immer konkret“, heißt es in einer frühen Schrift von Lenin. Auch deren Titel hat viel mit der Wirklichkeit unserer Tage zu tun: „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück".

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