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Meinung: Ist die Berliner Müllflut noch zu stoppen?

„Bleib sauber, altes Haus“ vom 15. September Bernd Matthies fordert in seinem Artikel zu Recht mehr Bürgersinn und politischen Willen für eine saubere Stadt.

„Bleib sauber, altes Haus“ vom 15. September

Bernd Matthies fordert in seinem Artikel zu Recht mehr Bürgersinn und politischen Willen für eine saubere Stadt. Doch selbst wenn beides Hand in Hand ginge, würde das leider nicht ausreichen. Vor einem Jahr haben wir uns an der Aktion „Saubere Sache“ beteiligt und gehofft, aus dem Engagement würden nachhaltige Maßnahmen erwachsen. Mit der großartigen und aufwendigen Unterstützung der BSR konnte die Fußgängerbrücke über der Spree am S-Bahnhof Friedrichstraße entmüllt und gesäubert werden. Als nach einigen Wochen alles wieder so aussah wie vor der Aktion, fand ein Ortstermin mit Anwohnern und anliegenden Gastronomen sowie den für die Sauberkeit der Brücke verantwortlichen Mitarbeitern der Deutschen Bahn statt. Letztere waren sichtlich schockiert und man gelobte Besserung. Geändert hat sich nichts. Noch heute liegt das Granulat vom letzten Winter auf den Treppenstufen. Flaschen, Kaffeebecher, Kippen, Tüten, Essensreste etc. häufen sich an. Der Taubenkot an den Handläufen der Geländer wird nicht entfernt. Das Passieren dieser Brücke ist eine Zumutung und wird es bleiben, trotz des bürgerlichen Engagements und solange die Verantwortlichen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.

Sabine Stamm-Balderjahn, Berlin-Lichterfelde

Ihr Erlebnis mit der – in der Tat äußerst schäbigen – Fußgängerbrücke am Bahnhof Friedrichstraße beschreibt ein zentrales Berliner Problem. Dort, wo die Zuständigkeit klar bei der Stadtreinigung liegt, kann man davon ausgehen, dass der Müll im Rahmen der finanziellen und personellen Möglichkeiten der BSR angemessen beseitigt wird. Wo dies nicht der Fall, ist, weil es sich um Privatgrund oder eben speziell um Bahngelände handelt, stinkt der Müll zum Himmel, weil sich niemand zuständig fühlt oder der Zuständige seine Verantwortung ignoriert. Ich kann aus eigener Erfahrung hinzufügen, dass das nicht nur in der Innenstadt passiert, sondern auch rund um die Eingänge von S-Bahnhöfen am Stadtrand, wo sich der Müll besonders hinter den Zäunen zur Gleisböschung sammelt. Dort wuchert typischerweise auch das wilde Grün am schlimmsten, weil Müll und gärtnerische Vernachlässigung gerade in Berlin eine innige Zwangsehe führen. Doch die Bahn hat keine Leute und vermutlich auch kein Geld, um Abhilfe schaffen zu lassen, und so bleibt es bei folgenlosen Absichtserklärungen.

Auch der Zustand vieler Kinderspielplätze, die nachts von Obdachlosen, Drogensüchtigen und Prostituierten bevölkert werden, ist ein anscheinend unlösbares Dauerproblem. CDU-Generalsekretär Kai Wegner hat vorgeschlagen, diese Spielplätze nachts sperren zu lassen – das ist richtig, aber natürlich von den finanziell ausgebluteten Bezirken nicht zu leisten. Und wieder landet der Schwarze Peter beim Bürger, hier speziell bei den Eltern, die die Spielplätze jeden Morgen selbst von den übelsten Hinterlassenschaften der Nacht befreien, Bürgersinn aus Not.

Plakative Aktionen wie die „Saubere Sache“ sind dazu da, die Aufmerksamkeit immer wieder zu fokussieren und das Problembewusstsein zu schärfen. Leider sind diejenigen, die sich da so vorbildlich einsetzen, wohl nie mit jenen identisch, die ihre Umgebung bedenkenlos zumüllen, und so bleibt es dabei, dass die einen den anderen hinterherräumen.

So sind Menschen zwar überall, aber es ist nicht überall so dreckig wie in Berlin, und das spricht dafür, dass es andere Mittel geben könnte, um das Problem einzugrenzen, staatliche Repression beispielsweise. Harte Strafen, die auch durchgesetzt werden, wie in New York, oder noch härtere wie in Singapur – sie funktionieren zweifelsfrei. Nur sind sie mit unserem Rechtsstaatsverständnis kaum in Einklang zu bringen, ganz abgesehen davon, dass es am Ende niemanden gäbe, der sie durchsetzt.Für unsere Polizisten wäre das unter ihrer Würde, und die Leute von den Ordnungsämtern trauen sich nicht.

Und unser Staat ist auch noch inkonsequent: Die Vermüllung Berlins in jeder Silvesternacht beispielsweise wird quasi offiziell geduldet, als sei es ein Naturgesetz, dass abgebrannte Feuerwerkskörper nicht wieder mitgenommen und in die Tonne geworfen werden können. Entsprechendes gilt für die beliebten Fan- und Bier- und Irgendwas-Meilen.

Ein kleiner Lichtblick immerhin darf nicht übersehen werden: Es ist weitgehend gelungen, das Rauchverbot in Bahnhöfen und Lokalen durchzusetzen. Wer sich noch erinnert, welche Halden von Kippen da einst in den Gleisen lagen, der wird das einen Fortschritt nennen müssen. Es ist also möglich, durch konzentrierte politische Anstrengungen über Jahre ein Klima zu schaffen, in dem ein bestimmtes Verhalten geächtet und zurückgedrängt wird. Strafen und Verbote spielen dabei keine geringe Rolle, aber sie sind nicht alles. Es gibt Anzeichen, dass sich das auch beim Hundekot ändern könnte, weil auch Hundehalter zunehmend kritischer miteinander umgehen. Das sind Ansätze, mit denen kluge Innenpolitiker arbeiten könnten. Vielleicht, wenn der Pulverdampf der Wahl verzogen ist?

— Bernd Matthies, Tagesspiegel-Redakteur

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