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Demonstranten in Madrid. In Spanien liegt die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren bei über 50 Prozent.

© dpa

Jugendarbeitslosigkeit in Europa: Die Generation Krise ist auch ein deutsches Problem

Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist auf ein Rekordhoch gestiegen. Deutschlands jüngeren Bürgern geht es im Vergleich zwar relativ gut. Das allein hilft aber niemandem. Jetzt gilt es zu zeigen, dass sich die europäischen Staaten gemeinsam in der Not helfen.

Von Antje Sirleschtov

Mit Mitte 50 keine Arbeit zu haben, ist schlimm. Hoffnungslosigkeit und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, treffen freilich Menschen jeden Alters. Aber mit Anfang 20 keine Arbeit zu bekommen, noch nicht einmal einen Ausbildungsplatz, das ist eine Katastrophe – für jeden Menschen, der voll Tatendrang etwas aufbauen, etwas anfangen will mit seiner Zukunft. Gefährlich ist das auch für die Gesellschaft. Wo in der Jugend Zurückweisung und Tristesse aufeinandertreffen, man weiß das, da keimen Frust, Angst und irgendwann auch Hass. Millionen junger Europäer rund um Deutschland herum haben keine realistische Chance auf eine berufliche Zukunft. Sie haben gute Schulabschlüsse, sie wollen etwas leisten. Aber zu Hause herrscht Krise, Dauerkrise. Niemand kann sie gebrauchen, keiner macht ihnen einen Angebot für ihr Leben.

Sollen wir Deutsche, denen es so gut geht wie selten, die Augen davor verschließen und den Arbeitslosen raten, sich bei ihren eigenen Regierungen zu beschweren? Wir haben sie schon mit unserem Geld vor der Staatspleite gerettet. Müssen wir jetzt noch mehr bezahlen und sogar unsere Ausbildungs- und Arbeitsplätze teilen? Man kann so argumentieren. Doch wer europäisches Blut in seinen Adern spürt, sich einem christlichen Hilfsgebot verpflichtet fühlt oder auch nur rechnen kann, der wird dem nationalen Ressentiment trotzen. Hier geht es nicht um Menschen, die vom goldenen Leben in Deutschland gehört haben und es sich in unseren Sozialsystemen gemütlich machen wollen. Es gibt keinen Anlass zu fürchten, dass der deutsche Arbeitsmarkt demnächst von Abertausenden überschwemmt wird, die für einen Hungerlohn unsere Schulabgänger aus den Azubi-Stellen kicken.

Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist eine andere, eine größere: Es geht um den Beweis, das Europa nicht nur in den Geschichtsbüchern existiert, es geht um die Glaubwürdigkeit einer Idee und auch um unsere eigene Zukunft. Wer heute in Nizza keine Ausbildung hat, wird morgen keinen VW aus Wolfsburg kaufen und womöglich übermorgen deutsche Touristen an der Côte d’Azur verkloppen. Diese Generation Krise wird sich später, wenn sie erwachsen ist, keinem Europa verpflichtet fühlen, das ihnen jetzt nicht aus der Not hilft. So einfach ist das.

Die Initiative der deutschen und französischen Regierungen – einer konservativen und einer sozialistischen wohlgemerkt – zur gemeinsamen Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist deshalb richtig. Alle Europäer sollten sich beeilen, dabei zu sein. Zu spät, zu klein, zu wenig Geld, zu viel Brüsseler Bürokratismus: Man kennt die Kritik an solchen Initiativen – und auch hier trifft sie wieder zu. Vor einigen Monaten schon hat die EU-Kommission sechs Milliarden Euro für eine „Jobgarantie“ an junge Europäer bereitgestellt. Passiert ist seither nichts. Das Geld liegt auf Brüsseler Banken, die Bürokraten halten Sonntagsreden. Portugiesische Jung-Ingenieure gehen derweil von der Uni direkt zum Sozialamt. In Madrid, Paris, Athen und Lissabon haben Regierungen andere Sorgen: Übermäßige Staatsdefizite müssen abgebaut, überbordende Beamtenapparate verschlankt und Reformen ins Werk gesetzt werden. Da bleibt wenig Kraft und vor allem überhaupt kein Geld für Investitionen, die jungen Leuten helfen.

Jetzt können die Deutschen gemeinsam mit ihren Nachbarn zeigen, ob sie die Kraft zur Gemeinsamkeit finden. Hilfe vor Ort ist genauso wichtig wie ein „Erasmus“-Programm für alle – für Hochschulabsolventen genauso wie für Maurer und Kindergärtnerinnen. Jeder, der sein Glück für ein paar Jahre im europäischen Ausland sucht, soll unterstützt werden. Sich allein auf Regierungen, deutsche Förderkredite und staatliche Sprachkursangebote zu verlassen, wäre aber zu wenig. Deutsche Gewerkschaften und Arbeitgeber müssen ihren Partnern erklären, wie man einen Ausbildungspakt ins Leben ruft, Bürgermeister sollten Städtepartnerschaften aktivieren, jeder Dax-Konzern 100 junge Europäer zusätzlich ausbilden oder beschäftigen – ob in Deutschland oder in seinen Zweigbetrieben vor Ort. Jetzt gilt es zu zeigen, dass Europa kein seelenloses Auslaufmodell ist.

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