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Ein Mädchen auf einer Treppe.

© imago/Westend61

Junge Hartz-IV-Empfänger: Was Millionen arme Kinder wirklich brauchen

In Deutschland leben zwei Millionen Kinder von Hartz IV. Aus diesen erschreckenden Zahlen muss man die richtigen Schlüsse ziehen, keine überhasteten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Zwei Millionen Kinder sind in Deutschland auf Hartz IV angewiesen – und die Zahl steigt. So erschreckend dieser Befund ist, denn hinter ihm verbergen sich junge Menschen, deren Start ins Leben gefährdet ist, so sorgsam muss man mit ihm umgehen. Und zwar aus dem gleichen Grund. Denn um die Zukunft eines jeden dieser Kinder muss die Wohlstandsgesellschaft kämpfen. Instrumentalisierung verbietet sich.

Aber wie sorgt die Gesellschaft dafür, dass aus armen Kindern nicht arme Erwachsene werden? Zunächst mit Ehrlichkeit. Ja, zwei Millionen Kinder, denen wir für das tägliche Essen drei Euro zugestehen, sind zu viele. Hinter der großen Zahl verbirgt sich jedoch die Erkenntnis, dass es allein die Kinder Geflüchteter sind, die in den vergangenen Jahren die Statistik der Kinder mit Hartz-IV-Bezug aufblähen. Das ist nicht befriedigend, aber auch nicht überraschend.

Wer sein Heimatland wegen Krieg und Verfolgung verlassen muss, braucht lange, um in Deutschland wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen. Den meisten Geflüchteten wird es erfahrungsgemäß überhaupt nicht gelingen, sich und ihre Kinder finanziell so gut mit eigenem Job zu versorgen, dass der Bezug von Grundsicherung wegfällt.

Umso wichtiger ist es, sich ihrer Kinder anzunehmen. In den Kommunen, wo Sprachangebote, Kitaplätze und Schulförderung speziell auf die Bedürfnisse der jungen Syrer und Afghanen zugeschnitten werden sollten. Und natürlich in der Breite der Gesellschaft. Es braucht mehr Eltern von Schulkindern, die eine Stunde pro Monat mit den geflüchteten Mitschülern ihrer Sprösslinge lesen, mehr Musikschulen und Sportvereine, die sich um jene bemühen, die ihr Zuhause verloren haben.

Hundert Gründe sprechen für Hartz IV, ebenso viele dagegen

Kommen wir zur zweiten Pflicht der Gesellschaft beim Kümmern um die Kinder, die von Hartz IV leben müssen: Auch sie lautet Ehrlichkeit. Es ist wichtig, dass sich Politiker wie Michael Müller ein gutes Jahrzehnt nach der Agenda 2010 mit der Frage befassen, ob das Hartz-System abgeschafft und womöglich durch ein solidarisches Grundeinkommen ersetzt werden soll. Hundert Gründe sprechen dafür, bestimmt ebenso viele dagegen.

Einem großen Teil derjenigen Mütter und Väter, die für ihren Nachwuchs Grundsicherung beantragen müssen, weil sie entweder gar keinen Job haben oder aber einen, von dem sie zwar sich selbst, aber nicht ihre Kinder ernähren können, wird diese Debatte eher zynisch vorkommen. Denn ihnen könnte der Bürgermeister von Berlin am meisten helfen, wenn er sich um die Betreuung ihrer Kinder sorgte. Glaubt man den Statistikern, dann leben allein eine Million Kinder von Alleinerziehenden ganz oder teilweise von Hartz IV. Ihre Eltern sind in Joblosigkeit oder Teilzeit gefangen. Vor allem in Großstädten. Weil Kitaplätze fehlen und die Mangelwirtschaft dafür sorgt, dass freie Plätze zuerst an jene Bewerber vergeben werden, die Arbeit haben. Weil Schulen zu wenig Ganztagsbetreuung anbieten. Weil sich Arbeitgeber schon als familienfreundlich preisen, wenn sie ein Spielzimmer einrichten. Man kann es nicht oft genug sagen: Jedes Kind in Armut ist ein Verlust für die Gesellschaft.

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