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Meinung: Kein Blick zurück im Zorn

Die große Koalition verspricht einen Aufbruch – keine politische Wende

Von Hans Monath

Eine entstehende Regierung beklatscht sich selbst. Es war ein seltsamer Moment, als Politiker von Union und SPD ihrer Führung nach der Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung im Paul-Löbe-Haus des Bundestages Beifall spendeten. Das Klatschen war Ausdruck von Erleichterung über den Abschluss, von Selbstermutigung zu Marathon- Aufgaben und Zeichen der neuen Gemeinsamkeit, die beide großen Blöcke in Regierung und Parlament künftig verbindet.

Einigkeit hat sich noch jede neue Koalition versprochen. Aber es ist ein ganz besonderer Start, wenn eine große Regierungspartei auf fast gleicher Augenhöhe mit dem neuen Partner weitermacht. Denn es gehört zu den beliebtesten Übungen neuer Amtsinhaber, die Verantwortung für die größten Fehlentwicklungen den eigenen Vorgängern anzulasten. Natürlich haben Gerhard Schröder und Joschka Fischer keine Gelegenheit ausgelassen, die Schuld an Massenarbeitslosigkeit, hohen Staatsschulden und aufgeschobenen Sozialreformen Helmut Kohl anzulasten. Natürlich hätte nach einem Wahlsieg von Union und FDP eine Kanzlerin Angela Merkel die rot-grüne Regierungszeit als Zumutung der Geschichte und völlig verlorene Jahre gebrandmarkt.

Der Regierungschefin einer großen Koalition ist ein solcher Weg versperrt: Die neue Konstellation muss vom ersten Tag ihrer Existenz an selbst dafür geradestehen, was in Deutschland gelingt oder misslingt. Der Zwang zum Kompromiss hat dafür gesorgt, dass die Arbeit der Vorgängerregierung im Koalitionsvertrag aufgehoben bleibt – das Gelungene und auch das weniger Gelungene. Schwarz- Rot übt deshalb den Aufbruch ohne Bruch. Eine Abrechnung mit der Vergangenheit findet nicht statt. In der Aufbruchrhetorik von Angela Merkel wie in der von SPD-Chef Matthias Platzeck ist nirgendwo von einer politischen Wende die Rede, stattdessen viel von neuem Vertrauen. Das soll die Grundlage schaffen, den großen Wandel zu gestalten, in dem beide Politiker Deutschland sehen.

Beide predigen freilich noch einem skeptischen Volk. Auch wird niemand die überwältigende Zustimmung der Parteitage von CDU, CSU und SPD vom Wochenanfang mit einem unverbrüchlichen Vertrauensvorschuss auf die Regierungsarbeit verwechseln. Denn Streit wird es geben, die unterschiedlichen politischen Grundüberzeugungen macht auch die Konsensrhetorik des Koalitionsvertrages nicht vergessen.

Doch muss es kein schlechtes Zeichen sein, wenn die Bürger am Anfang skeptisch sind: Die neue Regierung kann eine Koalition der Zumutungen sein, weil die Gefahr gering ist, bei jeder unpopulären Entscheidung sofort vom Gegenspieler als politischer Sadist vorgeführt zu werden. Manchmal liegt auch in der machtpolitischen Alternativlosigkeit eine Chance. Dass die Lockerung des Kündigungsschutzes oder eine höhere Mehrwertsteuer beliebt machen, erwartet niemand. Darauf aber kommt es auch nicht an. Am Ende dieser Regierung sollten die Deutschen nicht mehr Vertrauen in die große Koalition haben, sondern mehr Vertrauen in sich selbst.

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