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Meinung: Kein Zutritt ohne GPS-Empfänger

In dicht besiedelten Gebieten haben Bären nichts zu suchen

Alexander S. Kekulé Bruno ist tot, jetzt geht es den Bärentötern an den Kragen. Obermeuchler Werner Schnappauf, der von seinem sicheren Büro aus den „feigen“ Schießbefehl gegeben hatte, soll als Bayerischer Umweltminister zurücktreten. Der Jäger, der Bruno am Spitzingsee per Zielfernrohr aus 150 Metern Entfernung den Garaus machte, erhält Morddrohungen.

Ein „Problembär“ soll Bruno alias JJ1 gewesen sein, deshalb musste er sterben. Normalbären sind natürlich weiterhin willkommen in Bayern. Schließlich hat der Freistaat als erstes Bundesland den Umweltschutz zum Staatsziel erklärt, mehr als 3,3 Millionen Bayern stimmten beim Volksentscheid 1984 dafür. Doch woher weiß der Bär, dass er normal ist?

Der europäische Braunbär ist 1,70 bis 2,20 Meter groß und wiegt bis zu 350 Kilo. Er ernährt sich vorwiegend von Pflanzen, gelegentlich frisst er Vögel und Säugetiere, gerne auch Schafe. Beispielsweise reißt jeder der rund zwei Dutzend Normalbären, die nach aufwendigen Wiederansiedlungskampagnen in Österreich leben, pro Jahr etwa 20 Schafe und verursacht Schäden im Gesamtwert um die 12 000 Euro. Auch zu Begegnungen mit dem Menschen kommt es immer wieder. Jedoch hat keiner der rund 500 Bären, die im Bergland zwischen Norditalien, Österreich, Slowenien und der Slowakei leben, jemals einen Menschen angegriffen.

Musste Bruno also erschossen werden, weil er ein paar Schafe tötete, in Hasenställe einbrach und Bienenstöcke plünderte? In der Schweiz, wo es ein wissenschaftlich fundiertes Konzept für den Umgang mit Bären gibt, wäre Bruno aufgrund dieses Verhaltens nur als „Schadbär“ eingestuft worden. Erst wenn ein Exemplar die Scheu vor dem Menschen verloren hat und nicht mehr vor ihm flüchtet, gilt es als „Problembär“. Auch dann wird das Tier nicht getötet, sondern eingefangen, mit einem Sender versehen und konsequent vergrämt, beispielsweise mit Gummigeschossen. Das war bei Bruno aber nicht möglich, weil er beim Anblick von Menschen von sich aus das Weite suchte. Erst wenn ein Problembär trotz wiederholter Vergrämung keine wachsende Menschenscheu zeigt, gilt er bei den Eidgenossen als „Risikobär“ und muss abgeschossen werden.

Einen Plan für das „Bärenmanagement“ wie in der Schweiz und in Österreich gibt es in Bayern jedoch nicht – der Alpenstaat war auf wanderlustige Bären genauso wenig vorbereitet wie die Insel Rügen auf infizierte Schwäne. Sonst hätte man den Bären selbstverständlich eingefangen, wie es etwa in Kanada an der Tagesordnung ist. Auch die Annäherung für den Schuss aus dem Betäubungsgewehr, von den Bayern für unmöglich erklärt, ist anderswo kein Problem. Wer in Kanada den besonderen Kick will, jagt Schwarzbären und Grizzlys sogar mit Pfeil und Bogen (die widerliche Tierquälerei ist für 8000 Dollar buchbar).

Das Problem des bayerischen Ministers war jedoch, dass er kein Konzept für den Umgang mit dem Tier hatte, auch kanadische Bärenfänger waren nicht zur Hand. Der Direktor des Münchner Zoos wollte ihn betäuben, andere so genannte Fachleute hielten das für unmöglich und stuften Bruno als gefährlich ein. Aus der Sicht des Politikers blieb deshalb nur die Entscheidung für das kleinere Übel.

Warum die größten Landraubtiere der Erde ausgerechnet im Touristenland Bayern angesiedelt werden müssen, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Bauern müssten dann Schutzzäune für ihre Herden errichten, Kinder dürften nicht im Wald spielen, Zelten in den Bergen wäre lebensgefährlich. Wer die putzigen Pelztiere in der Natur beobachten will, kann dies auch anderswo tun: In den Karpaten leben etwa 8000, in Kanada rund 500 000 Bären.

Dass es künftige „Normalbären“ in Bayern leichter haben werden, ist zu bezweifeln. In den dicht besiedelten Touristenregionen zwischen Garmisch-Partenkirchen, Kochel und Spitzingsee kommen auch Wanderer ständig an Bauernhöfen, Bienenstöcken und Schafswiesen vorbei. Um sich systematisch von der Zivilisation fern zu halten, müsste ein Bär schon eine gute Landkarte und einen GPS- Empfänger dabei haben. Und das wäre auch wieder nicht normal.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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