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Meinung: Keine Angst vor den Chinesen

Nach der Taiwan-Wahl: Die Ein-China-Politik hat sich bewährt

Von HansDietrich Genscher Taiwan hat gewählt. Es war eine Wahl von außerordentlicher Bedeutung. Nicht nur für Taiwan selbst, sondern auch für die internationale Entwicklung. Die Wähler auf der Insel haben große politische Verantwortung und politischen Instinkt bewiesen. Sie verweigerten dem eben gewählten Präsidenten mit der Wahl einer anderen Mehrheit den Freibrief für ein Experiment, das zu schweren internationalen Belastungen hätte führen können.

Eine Voraussetzung der Stabilität in Ostasien ist die Akzeptanz der Ein-China-Politik. Es gehört zu den großen Verdiensten der deutschen Außenpolitik nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, dass sie von Anfang an die Ein-China-Politik unterstützte. Das war in der Anfangszeit keine einfache Sache, denn zeitweiliger Druck aus Washington zielte in eine andere Richtung. Die Bedeutung der damaligen deutschen Haltung wird auch nicht durch den Umstand gemindert, dass die Außenpolitik des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer die Ein-China-Politik in der Logik ihrer Ein-Deutschland-Politik sah. Im weiteren Verlauf der Entwicklung ergab sich daraus die stetige Unterstützung der deutschen Vereinigung durch China, so wie übrigens die chinesische Politik sehr frühzeitig die globale Bedeutung der europäischen Einigung erkannte und schon in den Anfängen die Europäische Gemeinschaft in der Perspektive eines künftigen Global Players sah.

Von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeachtet zeigte sich vor der jüngsten Wahl auf Taiwan in Peking ein hohes Maß an Nervosität. Eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans hätte die Stabilität im Fernen Osten sehr schnell durch gefährlichste Spannungen – wenn nicht mehr – ablösen können. Eine Weg-von-China-Politik Taiwans hätte nicht nur die immer enger werdenden vor allem wirtschaftlichen Beziehungen der Insel zum Festland aufs Spiel gesetzt, die Führung in Peking hätte sich auch, und das nicht nur aus Gründen der Gesichtswahrung, vor die Notwendigkeit von eindeutigen Reaktionen gestellt gesehen. Das hätte zu einer schweren Belastung des Verhältnisses zu den USA führen können. Die Tatsache, dass Peking eine solche Entwicklung mit größter Besorgnis sah, zeigt wie sehr das Land nicht nur an guten Beziehungen zu Europa sondern auch zu den USA interessiert ist und wie sehr man sich bemüht, global aber auch im asiatischen Raum als solider und verlässlicher Faktor globaler und asiatischer Stabilitätspolitik zu erscheinen. Nichts wäre falscher, als jetzt – den Wählern auf Taiwan sei Dank – zur Tagesordnung überzugehen. Die Lehre, die man im Westen, das heißt in Europa und in den USA zu ziehen hat, ist: China versteht sich als ein Faktor globaler Stabilitätspolitik im weitesten Sinne des Wortes. China beweist Verantwortung und Augenmaß. Das will bei allen politischen Entwicklungen und Entscheidungen bedacht sein. China ist zu groß und zu bedeutend, als dass es nur dann als Partner gesehen werden sollte, wenn es sich gerade als notwendig erweist. Der Wertedialog mit China ist deshalb weder überflüssig noch schädlich, wenn er mit Verantwortung geführt wird.

Die auf Wettbewerb ausgerichteten westlichen Gesellschaften sollten in der steigenden Wettbewerbsfähigkeit Chinas nicht eine Bedrohung sondern einen dynamischen Faktor für die immer deutlicher werdende multipolare Weltordnung sehen. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich das Bemühen der Bundesregierung um eine Vertiefung der deutschen und europäischen Beziehungen zu China als weitsichtig. Dass China so klar sein Interesse an guten Beziehungen zu den USA zeigt, nimmt den Bemühungen des Bundeskanzlers um Ausbau der Beziehungen zum größten Land der Welt jeden Rivalitätscharakter im Verhältnis zu den USA.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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