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Nicht an Gott zu glauben, ist leicht. Es genügt ein einziger Gedanke. Das Gegenteil erfordert etwas mehr.

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Kirchen in Deutschland: Die eigenen Grenzen kennen

An der Spitze der katholischen Kirche in Deutschland steht nun Reinhard Marx. Er ist ein Hirte, der seiner Herde Orientierung gibt und angstfrei vorangeht. Er ist aber keiner, der sich unter die Schafe mischt, gar ihren „Geruch annimmt“, wie es Papst Franziskus von seinen Bischöfen fordert.

Der Philosoph und Atheist Herbert Schnädelbach bekannte kürzlich, dass er durchaus schon religiöse Erfahrungen in seinem Leben gemacht habe. Aber sobald diese auf den christlichen Gott bezogen würden, gebe es keine Verbindung. Wie Schnädelbach geht es vielen. Bald werden die Christen in Deutschland in der Minderheit sein. Die Kirchen erreichen schon jetzt nur noch wenige gesellschaftliche Milieus und kaum noch die Jugendlichen. Das haben Umfragen in den vergangenen Jahren immer wieder ergeben, zuletzt vor einer Woche die Mitgliedsuntersuchung der Evangelischen Kirche.

Immer mehr Menschen werden taub für die kirchlichen Botschaften. Dabei hätten ihnen die Pfarrer und Bischöfe viel zu sagen. Zum Beispiel, dass das menschliche Leben unverfügbar ist und dass es einer Gesellschaft nicht nur guttut, wenn die Menschen alles selbst bestimmen und auch den Anfang und das Ende des Lebens bis ins Detail optimieren und designen wollen. Oder dass es noch einen weiteren Horizont gibt als die Routine des Alltags. Und dass Freiheit manchmal in der Beschränkung liegt. Und wer, wenn nicht die Kirchen, könnten der globalisierten Wirtschaft eine globale Moral zur Seite stellen?

Sechs Jahre lang stand Robert Zollitsch an der Spitze der katholischen Kirche in Deutschland. Er ist ein schmaler Mann der kleinen Gesten und leisen Töne – zu leise, um der Kirche Gehör zu verschaffen. Deshalb ist es gut, dass die Bischöfe am Mittwoch den Münchner Kardinal Reinhard Marx zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt haben. Er ist ein Macher und Entscheider, von barocker Leibes- und Lebensfülle, von Selbstzweifeln unangekränkelt. Er kann sich durchsetzen, manchmal polternd, manchmal brachial. Marx ist auch einer der wenigen unter den 27 Ortsbischöfen, der politisch denkt und Spaß hat am politischen Geschäft. Er wird den kirchlichen Standpunkt klar und kraftvoll vertreten und ist klug genug, um zu wissen, dass auch Kompromissfähigkeit dazugehört, wenn man Interessen durchsetzen will. Das alles ist wichtig und spricht für ihn, denn das Verhältnis von Kirche und Staat muss dringend neu austariert werden.

Bei vielen Menschen sind die Stärken aber zugleich auch die Schwächen. So ist das auch bei Reinhard Marx. Er ist ein Hirte, der seiner Herde Orientierung gibt und angstfrei vorangeht. Er ist aber keiner, der sich unter die Schafe mischt, gar ihren „Geruch annimmt“, wie es Papst Franziskus von seinen Bischöfen fordert. Und erst recht ist er keiner, der auch mal hinter der Herde hergeht, um zu sehen, wohin es sie zieht.

Um ein guter Hirte zu sein, ist es hilfreich, die eigenen Grenzen zu kennen und zu wissen, wo man sich selbst zurücknehmen muss, wo es vielleicht andere besser können. Das Demütige, Dienende ist Reinhard Marx’ Sache nicht. Er neigt eher dazu, sich selbst zu überschätzen. Er berät den Papst, lenkt eines der größten und reichsten Bistümer und dazu die bayerische, europäische und jetzt auch die deutsche Bischofskonferenz. Das sind zu viele wichtige Baustellen. Da ist die Gefahr groß, dass er sich verzettelt, seinen Aufsichtspflichten nicht nachkommt und Fehler macht. Auch die Pleite der „Weltbild“-Verlagsgruppe deutet darauf hin, dass die Fähigkeit zur Selbstkritik und der Blick für die eigenen Grenzen nicht so ausgeprägt sind. Die Gefahr, sich selbst zu überschätzen, liegt aber auch im Narzissmus der Institution begründet. Die Kirche kreiste in der Vergangenheit oft zu sehr um sich selbst und verlor das rechte Maß aus den Augen. Marx weiß um diesen Narzissmus der Kirche – und will ihn aufbrechen helfen.

Wie viele Bischöfe nennt er dafür Papst Franziskus als seinen Maßstab und sein Vorbild. Bis zu Franziskus ist für Marx noch Luft nach oben. Er könnte versucht sein, den Abstand zu überbrücken, indem er durch die gewachsene Machtfülle abhebt. Das wäre der falsche Weg. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Kirchen immer dann die Herzen der Menschen erreicht und Vertrauen gewonnen haben, wenn sie sich in ihrer Macht begrenzt und zurückgenommen haben.

Claudia Keller

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