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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Kolumne "Meine Heimat": O je, du fröhliche

Klima, Opel, Euro - in dieser politischen Hektik soll man gelassen in Weihnachtsstimmung kommen? Wenigstens bleibt mir ein kleiner Trost.

Langsam kommt nun auch bei mir Weihnachtsstress auf. Nein, ich meine nicht die fehlenden Geschenke, die Frage, wie unser Weihnachtsbaum in diesem Jahr aussehen soll oder was Heiligabend auf den Tisch kommt. Das alles kann ich routiniert angehen: deutscher Weihnachtsschmuck, türkische Küche, chinesisches Spielzeug für die Kinder, südkoreanische Elektronikartikel für die Brüder und Bücher aus der Bestsellerliste für die Schwestern. Was meine Eltern bekommen, darüber berät derzeit in unzähligen Instanzen das Geschwisterkollektiv, und vermutlich endet alles in einem weihnachtlichen Familienstreit. Mir selbst schenke ich ein paar ruhige Tage mit Kitschfilmen vor dem Fernseher, langen Spaziergängen und ausgiebigem Herumliegen auf der Couchgarnitur meiner Mutter. Aber da beginnt schon mein Problem. Für eine besinnliche und fröhliche Weihnachtszeit zum Jahresende müsste auch wirklich mal Ruhe einkehren, süßer die Glocken nie klingen.

In Doha, auf der Weltklimakonferenz, einigte man sich darauf, dass man sich nicht einigen kann. Also ruinieren wir den Planeten munter weiter, o du fröhliche.

In Bochum hat es sich bald ausgeopelt. Der Dank dafür, dass man dort jahrelang auf Lohnzuwächse verzichtet und Tarifabschlüsse ausgesetzt hat. Die Arbeiter können nichts für die verschlafene Produktpolitik und die Restriktionen des amerikanischen Mutterhauses, morgen, Kinder, wird’s was geben.

Die EU bekommt den Friedensnobelpreis, eigentlich etwas, über das man sich freuen könnte, herrscht doch hier seit Jahrzehnten Frieden. Doch es geht von Krisengipfel zu Krisengipfel, und eine nicht gewählte, sondern erwählte EU-Kommission soll weiter in die Belange der Mitgliedstaaten eingreifen können. Dass all dies ohne Legitimation durch den Bürger geschieht, hat zur Folge, dass Europa zunehmend als anonymes bürokratisches Ding gesehen wird, Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit?

Bei der Deutschen Bank ist jetzt schon Bescherung. Sie soll beim Emissionszertifikatehandel die Umsatzsteuer im eigenen Säckchen gelassen haben. Und die, die mithilfe von Geldinstituten dem Staat steuerpflichtige Gelder entziehen, werden nur selten und eher zufällig erwischt. Wie lange will sich der Staat von solchen Asozialen eigentlich noch auf der Nase herumtanzen lassen?

Ganz putzig sind allerdings die Vorgänge im Gesundheitsministerium. Von dort lieferte ein IT-Fachmann interne Unterlagen an einen Apothekerlobbyisten. Die FDP redet nicht nur über Transparenz, sie setzt sogar Maßstäbe. Jetzt können die Lobbyisten nicht mehr auf ihre Wahlgeschenke unter dem Weihnachtsbaum hoffen, sondern müssen sich selbst bedienen, kling, Glöckchen, klingelingeling.

Und in all dieser Hektik soll man gelassen in Weihnachtsstimmung kommen? Mein kleiner Trost ist, dass unser Kanzlerkandidat der SPD nun auch die letzten ruhigen Tage vor sich hat, bevor er einem öffentlichen Selbstfindungsprozess ungeahnten Ausmaßes ausgeliefert sein wird, leise rieselt der Schnee. Oder wie mein Vater sagen würde: „Tasasiz bas bostan korkulugunda bulunur“ – nur die Vogelscheuche ist ohne Sorgen.

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