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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Kolumne "Meine Heimat": Schießen, nicht hupen!

Die USA sind ein Land voller Widersprüche. Wer in die Vereinigten Staaten einreisen will, muss nicht nur die dortige Bürokratie überwinden, sondern manchmal auch die Cops am Flughafen. Beim Thema Waffenrecht gibt es hingegen kaum Vorschriften.

Welcome, how are you, nice to meet you; das sind die Sätze, die ich in Amerika am häufigsten gehört habe. Zuvor musste ich mich aber diversen Prüfungen und Kontrollen unterziehen, um überhaupt reingelassen zu werden. Auf dem Einreiseformular stand zum Beispiel: „Haben Sie jemals Drogen in Umlauf gebracht, oder beabsichtigen Sie, zum Zweck krimineller oder sittenwidriger Handlungen einzureisen?“ Oder: „Waren Sie jemals oder sind Sie gegenwärtig an Spionage- oder Sabotageakten, an terroristischen Aktivitäten oder an Völkermord beteiligt?“ Schokolade im Gepäck wird behandelt wie eine nukleare Waffe. Bisher konnte mir auch noch niemand erklären, warum man in der Flughafenhalle sein Mobiltelefon nicht benutzen darf. Ich habe das mal unwissentlich getan, ein Officer schrie mich von 20 Meter Entfernung an „Put down the phone. Put it right down. NOOWWW!“

Willkommen im Land der 1000 Kontrollen, in dem man aber ganz easy in drei Monaten 6000 Schuss Munition im Internet bestellen und mehrere Waffen legal kaufen kann. Nach dem Amoklauf in der Nähe von Denver meinte die NRA, die Nationale Schusswaffenvereinigung: Wenn mehr Kinobesucher eine Knarre getragen hätten, wäre ein aufrechter amerikanischer Bürger in der Lage gewesen, den Irren über den Haufen zu schießen.

Dieses Land ist so voller Widersprüche, dass einem eine lupenreine Diktatur wie Nordkorea logisch erscheint. Amerika ist das Lieblingskind des Kommerzes, ihr Held, der Dollar. Das Erste, was ich in Amerika gelernt habe ist: „The best things in life are free. The better things cost you.“ Ein kleines, grünes Stück Papier kann Träume erfüllen. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten scheitert man zwar an einer Zigarette, aber umso einfacher ist es, sich bis an die Zähne zu bewaffnen. Es ist das Land mit dem härtesten Rauchverbot.

Bildergalerie: Wie die Amerikaner der Opfer von Aurora gedenken

Irgendwie scheint dieses Land sowieso nur aus Verboten zu bestehen. „Don’t honk“ oder „Park here? Don’t even think about it!“ Im Central Park in New York ist es an einigen Stellen verboten, den Rasen zu betreten, Musik zu hören, zu spucken, zu rennen oder gegen den Uhrzeigersinn zu joggen. Man kann in Hotels keine Fenster öffnen, weil es zu gefährlich ist. Es gibt fettfreie Schokolade und Stromausfälle, Antibiotika im Drogeriemarkt und Nudeln ohne Kohlehydrate.

In diesem Land zahlt man für 100 Quadratmeter Wohnfläche 45 Millionen Dollar, und zwei Straßen weiter wird ein Obdachloser in der Müllpresse zerquetscht. Hier trifft man einen 22-Jährigen ohne Krankenversicherung und Beine, hier lassen sich Frauen ihre Zehen brechen, damit sie Designer-High- Heels tragen können. Und manchmal ist dieses Land nicht weit von einem Entwicklungsland entfernt.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Parayi veren düdügü calar“ – wer das Geld gibt, spielt die Flöte.

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