zum Hauptinhalt
Die Brücken von Venedig verblassen gegen die Schönheit der Berliner Oberbaumbrücke.

© dpa

Kolumne "Mon Berlin": Uns kann keiner das Wasser reichen

Paris, London, Venedig - wer braucht schon all diese Städte, wenn man auch in der schönsten Stadt der Welt, Berlin, leben kann? Das Selbstbewusstsein der Berliner scheint unerschütterlich, meint unsere Kolumnistin. Und das mit dem Flughafen kriegen sie auch noch hin.

Nichts als Stänkerer und Meckerer! Die Pariser verurteilen ihre allzu gestresste Stadt gnadenlos. Die Londoner schimpfen über die mörderischen Immobilienpreise. Die Römer verfluchen ihre verstopften Gassen. In diesem Chor der Klagen und des Zorns der europäischen Hauptstädter sticht nur eine einzige Stimme heraus: die der Berliner. Sie allein singen ohne Unterlass das Loblied ihrer Stadt. Wen kümmern die Graffiti und die überquellenden Mülleimer, die vorherrschende schlechte Laune, die außer Rand und Band geratenen Mieten und die Vermehrung der Baustellen, die diesen Sommer den Verkehrsfluss blockieren? Da braucht es schon etwas mehr, um den Berliner Lokalpatriotismus zu erschüttern!

Welche Stadt ist die schönste? Natürlich Berlin!

Die Berliner scheinen mit einem bombenfesten Selbstbewusstsein gewappnet zu sein. In einem Ausmaß, dass ihnen jegliche Demut (ein gewisser Sinn für Realismus, würde ich sogar sagen) fremd ist, wenn sie sich völlig frei von Komplexen mit den mythischen Schönheiten des Planeten vergleichen. Und der Vergleich fällt selbstverständlich immer zu ihren Gunsten aus. Auf 1700 Brücken kann man die Wasserwege überqueren, die Berlin durchziehen. Was ist dagegen schon Venedig! Sehen Sie doch nur, wie mickrig die Perle der Adria sich neben uns ausmacht! Vergessen Sie die Seufzerbrücke und den Markusplatz! Es leben die Oberbaumbrücke und der Alex! „Wer sich für Brücken interessiert, muss nicht extra nach Venedig!“, empfiehlt ein besonders dreister Fremdenführer. Warum verreisen, wenn Berlin doch alle Sehnsüchte perfekt erfüllt?

Die Dampfer, die den Landwehrkanal durchpflügen, brauchen sich neben den Gondeln des Canal Grande doch nicht zu verstecken! Wer würde denn auf die alberne Idee kommen, sich auf mit rotem Samt bezogene Bänke irgendeiner Gondel zu lagern, wenn eine Reederei einen Plastikklappsitz am Deck der FMS Spree-Prinzessin offeriert?

Wasser und Brücken - Berlin ist viel schöner als Venedig

Wie viele Fachwerkhauszeilen entlang eines Bachs in einem Provinzkaff tragen nicht den Namen „Klein-Venedig“? Wo es Wasser gibt, ist Venedig die obligatorische Messlatte. Und Wasser gibt es in Berlin nun wirklich: 180 Kilometer schiffbare Wasserstraßen und dazu noch all die Seen. Nehmen Sie nur einmal die Bewohner von Rahnsdorf am Müggelsee. Auch sie zeigen Mut zur Lächerlichkeit, wenn sie das Netz von Kanälchen, das die Kolonie der Wochenendwassergrundstücke im sumpfigen kleinen Spreedelta durchzieht, „Neu-Venedig“ taufen. Wie minderwertig sind doch die venezianischen Palazzi mit ihren hohen Fenstern, stellt man sie seiner Rahnsdorfer Datsche mit dem Wachstuch auf dem Gartentisch und dem Steg vor der Haustür gegenüber!

 Pascale Hugues schreibt für das französische Magazin "Le Point".
Pascale Hugues schreibt für das französische Magazin "Le Point".

© Tsp

Und wie wenig absurd der Vergleich ist, zeigt sich an einer weiteren Ähnlichkeit: zu viel Wasser. Ein Riesenproblem: Weil der Wasserverbrauch sinkt, steigt der Grundwasserspiegel in Berlin. Seit 1989 ist er um 50 bis 100 Zentimeter gestiegen. Die Berliner klagen über feuchte Keller und Modergeruch. Im Roten Rathaus steht das Wasser. Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt und im Rathaus Reinickendorf ebenfalls. Dogenpalast und Rotes Rathaus im gleichen Kampf vereint! Bald wird Berlin genauso vom Wasser verschlungen wie Venedig.

Den Wettbewerb um die größte Klappe gewinnen die Berliner

Aber auch Venedig, die schönste Stadt der Welt, kann den stolzen Berlinern das Wasser nicht reichen. Die preußische Kapitale hatte sich selbst den Spitznamen „Spree-Athen“ zugelegt. Ein Hinweis auf seine Weisheit, die Qualität seiner Universitäten und die Bedeutung seines Geisteslebens. Immerhin muss man zugeben, dass diese Metapher seit einigen Jahren nicht mehr en vogue ist. Es gibt keine wahre Seelenverwandtschaft mehr zwischen der pleitegegangenen griechischen Hauptstadt und der Hauptstadt Deutschlands, dem letzten stolzen Fels in der europäischen Wirtschaftssturmflut.

Seit langer Zeit gehören die Berliner zu den Aufschneidern. Das reicht weit zurück, bis an den Anfang des vorigen Jahrhunderts, als sie eine brandneue Hauptstadt mit überproportionalen Bauwerken errichteten. Ihr Dom war höher als die St. Paul’s Cathedral. Ihre Warenhäuser größer als Harrods und Galeries Lafayette. Schon immer stellen die Berliner sich auf die Zehenspitzen, um die anderen ein bisschen zu überragen. Und sie machen weiter. Sie haben den größten Hauptbahnhof erbaut. Sie rackern sich ab, um den größten internationalen Flughafen einzuweihen. Eins jedenfalls ist sicher: Den Wettbewerb um die größte Klappe gewinnen ganz sicher die Berliner – und darum liebe ich sie.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false