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Meinung: Kranker Kompromiss

Die neuen Erstattungsrichtlinien für homöopathische Medizin sind willkürlich

Erst der Ärger um die Praxisgebühr. Und nun auch noch das: keine Homöopathie, keine anthroposophischen Mittel, keine pflanzlichen Medikamente mehr auf Rezept! Ist den Gesundheitsreformern gar nichts heilig? Seit Monaten musste sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt solche Vorwürfe anhören, derweil ihre Umfragewerte immer weiter absackten und ihr Ministerstuhl immer stärker zu wackeln begann. Jetzt hat sie gehandelt und einen Kompromiss durchgesetzt: ein bisschen Alternativmedizin wird es auch künftig noch auf Rezept geben. Zähneknirschend musste der für die Arznei-Erstattung zuständige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sich dem ministeriellen Druck beugen.

Politische Kompromisse sind selten sachlich logisch. Ihr Sinn liegt im Ausgleich der Interessen. Aber dieser ist schlichtweg bizarr – ja wäre zum Lachen, wenn es nicht um Krankheit ginge. Schritt eins: Der Bundesausschuss erstellt einen Katalog mit Ausnahmen von der Regel; in besonderen Krankheitsfällen sollen auch künftig Kosten für rezeptfreie Medikamente erstattet werden, darunter einige wenige pflanzliche Mittel, etwa das bewährte Johanniskraut.

Schritt zwei: In diesen Ausnahmefällen, und nur in diesen, darf auch der Homöopath oder der Anthroposoph seinen Patienten nach seinem Gusto erstattungsfähige Rezepte ausstellen. Also zum Beispiel für Menschen mit Bandwurmbefall, Eisenmangel oder einer nicht richtig arbeitenden Nebenschilddrüse. Nicht aber für jene Krankheiten, die in der normalen Arztpraxis häufig sind, etwa Infektionen der Atemwege, Rückenbeschwerden oder chronische Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck.

Das ist willkürlich und inkonsequent. Es verwundert deshalb nicht, dass Homöopathen Verfassungsklage erheben wollen.

Der lange „Kulturkampf“ zwischen Schul- und Alternativmedizin geht in eine neue Runde. Er dürfte sich verschärfen. Denn bisher wurde der Homöopathie, Anthroposophie und Pflanzenheilkunde als „besonderen Therapierichtungen“ eine ökologische Nische im System der gesetzlichen Krankenversicherung eingeräumt. Diese Nische ist nun in Gefahr. Und das, obwohl der Deutsche eigentlich eine grüne Seele hat. Egal, ob er schwarz, rot, gelb oder grün wählt – er vertraut allem, was natürlich ist (oder sich manchmal nur den Anschein gibt). Das ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Denn wenn es ernst wird, eine schwere Krankheit oder ein Unfall Operationen oder intensivmedizinische Betreuung erzwingt, dann wird unsereiner zum Freund der Technik und der Apparatemedizin. Es wohnen eben zwei Seelen in der deutschen Brust.

Homöopathische oder pflanzliche Präparate sind meist preiswert und gut verträglich. Die Krankenkassen werden also nicht viel Geld einsparen, wenn sie diese Mittel künftig nicht mehr bezahlen. Doch die geringen Kosten und das hohe Ansehen in der Bevölkerung werden genauso sicherstellen, dass die „besonderen Therapierichtungen“ bestehen bleiben.

Am besten wäre es, dem Bürger und Patienten selbst zu überlassen, ob er alternativmedizinisch versorgt werden will oder nicht. Die Krankenkasse könnte einen Tarif für die Grundversorgung anbieten, der nur jene Leistungen erstatten würde, deren Wirksamkeit auch wissenschaftlich erwiesen ist. Zusatztarife könnten dann auch Verfahren der „anderen Medizin“ abdecken, bis hin zu Methoden wie Akupunktur oder Ayurveda. Dann ließe sich der Kulturkampf schnell beenden.

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