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Meinung: Krieg und Wahrheit: Vertrauen auf Vorschuss

Alles ist wie immer, und dennoch ahnen wir, dass sich gerade jetzt etwas ändert, jetzt, während Tausende Menschen durch die sonnenüberflutete Stadt bummeln und einen der raren Spätsommertage genießen. Das sieht sehr nach heiler Welt aus, nach der heilen Welt, die wir so gerne wieder hätten, einen Monat nach dem 11.

Alles ist wie immer, und dennoch ahnen wir, dass sich gerade jetzt etwas ändert, jetzt, während Tausende Menschen durch die sonnenüberflutete Stadt bummeln und einen der raren Spätsommertage genießen. Das sieht sehr nach heiler Welt aus, nach der heilen Welt, die wir so gerne wieder hätten, einen Monat nach dem 11. September des Jahres 2001, dessen Bilder immer noch wie ein Albtraum auf unseren Seelen liegen.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror 7.10., 18.45 Uhr: Wie der Gegenschlag begann Hintergrund: US-Streitkräfte und Verbündete Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Umfrage: Befürchten Sie eine Eskalation der Gewalt? Afghanistan, wo nun in der zweiten Nacht amerikanische und britische Raketen die dem Terroristen Bin Laden nützliche Infrastruktur zerstören sollten, liegt unwirklich weit weg, mehr als 6000 Kilometer. Was berührt uns denn schon Afghanistan? Es gibt kaum ein Bild von dem Geschehen dort, nur grüne Schemen und immer wieder Lichtblitze am Nachthimmel, das ist alles.

Aber nicht nur wir wissen an diesem Spätsommertag nicht genau, was dort geschehen ist. Auch unsere Regierung scheint nicht sehr viel mehr zu wissen als wir. Das könnte einen beruhigen, wäre es denn ein Indiz dafür, dass der Krieg, der so weit weg ist, uns wirklich nichts anginge. Aber wir wissen, obwohl wir es nicht wissen wollen, dass das ein Irrtum ist. Die mit deutschen Spezialisten besetzten Awacs-Flugzeuge, die auf Bitten der USA heute die Kontrolle des nordamerikanischen Luftraums übernehmen werden, sind der Beweis dafür, wie sehr dieser Krieg uns betrifft. Wir sind drin im Krieg, selbst, wenn wir ihn nicht so nennen wollen, weil er sich nicht gegen ein Land, sondern gegen eine Terror-Organisation richtet.

Es ist ein sehr ungutes Gefühl, in einen Krieg verwickelt zu werden, dessen Ziel man zwar für richtig und zwingend hält, von dem man aber nicht einmal ungefähr weiß, wie und durch wen er geführt wird, und wie genau eine deutsche Beteiligung daran aussehen soll. Vertrauen im Rechtsstaat ist wichtig, und das ist ohne Zweifel eine Situation, in der die eigene Regierung auf das Vertrauen der Bürger angewiesen ist. Doch die Regierung kann wiederum nichts anderes tun, als dem Bündnispartner Amerika zu vertrauen. Das ist schon nicht mehr ganz so beruhigend, nicht nur, wenn man daran denkt, dass nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland der Bundeskanzler und nicht der amerikanische Präsident die Richtlinien der deutschen Politik bestimmt.

Es wird also im Moment sehr viel Vertrauen auf Vorschuss von uns verlangt. Das wird nur kurze Zeit so funktionieren. Die Bürger, gerade jene, die nicht aus Prinzip misstrauisch sind, wollen genau wissen, wohin die Reise geht, wenn von einem Krieg die Rede ist, an dem nicht nur deutsche Soldaten beteiligt sein werden, sondern der durch Racheakte direkt, brutal und qualvoll nach Deutschland durchschlagen kann. Sehr schnell werden wir Bilder und Beweise dafür sehen wollen, dass das alles seine Rechtfertigung in der Zerstörung von Flughäfen und Bunkern der Terroristen findet, dass es irgendwie eine Sühne für das tausendfache Töten Unschuldiger am 11. September 2001 ist, dass es vor allem möglichst die Wiederholung der Apokalypse verhindert. Wir wünschen uns nicht die propagandistisch verklärten Fotomontagen und Computeranimationen aus dem Golfkrieg und vom Balkan. Denn wir wissen inzwischen: 90 Prozent der Cruise Missiles verfehlten die programmierten Ziele. Und wir haben mit dem Begriff Kollateralschaden und seinem Inhalt umgehen gelernt. Nein, wir fordern Klarheiten.

Das alles sieht also nach sehr viel Ungewissheit aus und nach Zweifeln. Das ist so. Es gibt Demonstrationen. Dennoch sind die Deutschen ruhiger und gefasster als vor zehn jahren beim Ausbruch des Golfkrieges und 1999 auf dem Höhepunkt der Kosovokrise. Das liegt nicht nur daran, wie ungenau unsere Vorstellung vom Geschehen in Afghanistan ist. Nein, die Deutschen sind im Jetzt, sie sind in der weltpolitischen Realität angekommen. Sie wissen heute, dass es für ein Land dieser Größe kein Abseitsstehen geben darf, nicht zuletzt aus Gründen der Selbstachtung. Die Regierung kann sich, so sieht es aus, auf die Solidarität der Bürger verlassen. Aber sie steht dabei in einer Bringschuld. Gerade weil der Terror auch Deutschland treffen kann, müssen wir wissen, was in Afghanistan auch in unserem Namen geschieht.

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