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Meinung: Lahme Flügel

Windenergie rechnet sich erst bei Offshore-Anlagen in Nord- und Ostsee

WAS WISSEN SCHAFFT

In der Sommerdepression riesiger Haushaltslöcher, frustrierter Leichtathleten und eines verpatzten Fußballländerspiels konnte die Republik wenigstens einen Titel erfolgreich verteidigen – den des Weltmeisters im Windmühlenbauen. Drei Viertel der weltweiten Windkraftleistung sind in Europa installiert, mehr als die Hälfte davon in Deutschland: Rund 14 000 Dreiflügler bringen es zusammen auf eine „installierte Leistung“ von 12 800 Megawatt, so viel wie 24 Kohle- oder zehn Kernkraftwerke. Wieso also ist Wirtschaftsminister Wolfgang Clement so skeptisch?

Zunächst einmal haben die protzigen Zahlen der Windkraft-Lobby mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Die von der Industrie als Referenzgröße verwendete „installierte Leistung“ wird nicht im Entferntesten erreicht, da die wetterabhängigen Turbinen höchstens 2000 Volllast-Stunden im Jahr bringen, also rechnerisch 282 Tage still stehen – ein Braunkohlekraftwerk arbeitet dagegen 7 100 Stunden (296 Tage) unter Volllast. Doch auch die 4,7 Prozent des deutschen Stromverbrauchs, die in einem optimalen Windjahr tatsächlich erzielt werden könnten, sind in der Praxis kaum erreichbar: Der Wunschwert wurde wegen unvorhergesehener Flauten in den vergangenen beiden Jahren um 10 bis 20, im ersten Halbjahr 2003 sogar um 30 Prozent unterschritten.

Noch problematischer sind die kurzfristigen Schwankungen der Stromproduktion, wenn der Wind plötzlich nachlässt oder auffrischt. Bei Sturm drehen die Turbinen ihre Rotorblätter sicherheitshalber auf Durchzug und ziehen die Bremse an, so dass der Strom schlagartig auf null abfällt. Umgekehrt fangen die Windmühlen bei extremer Flaute sogar an, Strom zu verbrauchen: Die meisten besitzen einen „Asynchrongenerator“, dessen Drehspule durch den Netzstrom magnetisiert wird. Wenn die Drehzahl jedoch nicht ausreicht, um das Magnetfeld stabil zu halten, saugen sie wie ein Elektromotor Strom aus dem Versorgungsnetz, mit dem dann der Rotor angetrieben wird.

Um die Leistungsschwankungen der Windräder minutenschnell ausgleichen zu können, müssen deshalb konventionelle Kraftwerke gedrosselt werden, um sie bei Bedarf schnell hochzufahren. Die dadurch entstehenden „Regelverluste“ hängen wesentlich von der Infrastruktur der Energieversorgung ab: Kleine, moderne Gaskraftwerke können schneller einspringen als schwerfällige Kohlekraftwerke. Auch verkraften Netze mit hohen Leitungskapazitäten mehr Windräder, da der Reservestrom von weiter weg herangeschafft werden kann.

Wirtschaftlich sinnvoll wären deshalb nur große Offshore-Windparks in der Nord- oder Ostsee, wo konstante und starke Winde bis zu 40 Prozent mehr Leistung als an Land bringen, so dass riesige Dreiflügler mit Synchrongeneratoren und teurer Regeltechnik rentabel werden. Dafür ist gezielte Planung statt flächendeckender Subvention nötig. Darüber hinaus müssen noch zahlreiche technische Probleme der Offshore-Anlagen gelöst werden, vom Wellenschlag bis zur Verankerung im Meeresboden. Weil sich Subventionsgelder an Land viel bequemer einstreichen lassen, hat die Windindustrie jedoch bisher zu wenig in die Entwicklung der Offshore-Technik investiert. Wenn der Vorstoß des Wirtschaftsministers hier zu mehr Forschung und Fokussierung führt, könnte Clement eines Tages sogar als Retter der Windenergie gefeiert werden.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität in Halle. Foto: Jaqueline Peyer

Alexander S. Kekulé

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