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Meinung: Land ohne Deichgraf

Ein Jahr danach: Hurrikan „Katrina“ hat das soziale Drama der USA offengelegt

Drei Bilder prägen die Präsidentschaft von George W. Bush, nur eines davon ist positiv besetzt. Das war der Moment, in dem er im September 2001 mit dem Megafon in der Hand neben einem Feuerwehrmann auf den Ruinen des World Trade Centers stand. Ein Zeichen der Stärke und des Mitgefühls. Das zweite, im Mai 2003 mit einem „Mission erfüllt“-Banner hinter sich auf einem Kriegsschiff vor der Pazifikküste, ein Sinnbild der katastrophalen Fehleinschätzung des Weißen Hauses über den Verlauf des Irakkriegs.

Am meisten schadete ihm aber wohl das dritte Bild: Am 31. August 2005 blickt Bush auf dem Weg vom Urlaub in Texas nach Washington aus dem Fenster der „Air Force One“ auf New Orleans hinab. Aus sicherer Distanz zu der Zerstörung, die Hurrikan „Katrina“ angerichtet hatte. Es gehen weitere 15 Tage ins Land, ehe Bush sich ins Zentrum des Chaos traut. Bis dahin hatten seine Landsleute seine Ideologie in Frage gestellt, einige seine Intelligenz. Aber nie das Mitgefühl, das er seinem Volk entgegenbringt, seinen angeblichen „Sinn für die kleinen Leute“.

„Katrina“ zerstörte auch diesen Mythos, Bushs Beliebtheitswerte sanken in Regionen eines Richard Nixon und haben sich seitdem nicht mehr erholt. Als Hurrikan „Betsy“ 1965 die Region verwüstete, flog Präsident Lyndon B. Johnson nach New Orleans, watete durchs Wasser, knipste seine Taschenlampe an und rief: „Hier ist ihr Präsident.“ 40 Jahre danach klopfte Bush Michael Brown, dem inkompetenten Chef des Katastrophenschutzes, für die Kameras auf die Schulter. Später sagte die Präsidentenmutter bei der Besichtigung eines Flüchtlingslagers in Houston, die Menschen seien sowieso unterpriviligiert gewesen, jetzt gehe es ihnen besser. Bill Clinton stand daneben und schwieg.

Spike Lee hat in seiner vierstündigen Dokumentation „Als die Deiche brachen“ gezeigt, dass es nicht nur um die zerstörerische Wirkung von Wasser und Wind geht, die sich vor knapp einem Jahr an der Golfküste Bahn brach. „Katrina“ legte ein Sozialdrama offen. An der Oberfläche sehen die Vereinigten Staaten von Amerika aus wie ein funktionierendes Land, ein Staat mit ungeheuren Ressourcen, wohlhabend, demokratisch, gleich gesinnt. Der Sturm wusch die Schminke weg. Nun sieht man in New Orleans zwei Gesellschaften, die nebeneinander herleben. Man sieht eine dysfunktionale Regierung, die sich um sich selbst statt um ihre Bürger kümmert, und Unternehmen, denen ein soziales Gewissen abhandenkam.

Die Ingenieure des zuständigen Army Corps of Engineers wussten seit 40 Jahren, dass sie die Deiche in New Orleans fehlerhaft konstruierten. Niemand tat etwas. Man hat sich gewöhnt an die Zweiteilung des Landes. Hier die Eliten, dort die anderen, die sich so durchwursteln. Bush redet zum Jahrestag des Hurrikans von den 110 Milliarden Dollar, die der Kongress für den Wiederaufbau bereitstellte. Viel mehr als ein paar Dutzend Schecks kamen bei den Besitzern der zerstörten Häuser bislang nicht an. Und ihr verlorenes Vertrauen lässt sich ohnehin nicht zurückkaufen.

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