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Aufs Meer, ins Heim?: Laura Dekker: Mit 14 hat man noch Träume

Zugegeben, die Welt hat andere Sorgen. Sollen wir uns wirklich Gedanken über eine 14-jährige machen, die ungeachtet eines behördlichen Verbotes alleine um die Welt segeln möchte und die jetzt möglicherweise in ein Kinderheim eingewiesen wird? Ja, sollten wir.

Das klingt ziemlich verrückt – aber in dem Ausreißversuch der jungen Niederländerin Laura Dekker und den amtlichen Sanktionen gegen sie, im Streit der geschiedenen Eltern um das vermeintliche oder tatsächliche Wohl der Tochter spiegelt sich so viel von den Widersprüchlichkeiten unserer Zeit, dass man über den Fall ins Grübeln kommt.

Rein Privates mischt sich mit ganz grundsätzlichen Positionen. Die konträren, individuellen Auffassungen darüber, wie ein junger Mensch aufwachsen sollte, stehen im harten Gegensatz zu genauso kontroversen staatlichen Vorstellungen über das Kindeswohl. Wären Lauras Eltern nicht geschieden, würde Laura nicht in Europa, sondern in den Vereinigten Staaten aufwachsen – die Geschichte wäre und würde vermutlich völlig anders verlaufen.

Die Eltern des Mädchens sind, oder waren, begeisterte Segler. Laura wird, während einer Weltumsegelung, in Neuseeland geboren. Die Ehe geht auseinander, das Mädchen wächst beim Vater in Holland auf, und der bestärkt sie in dem Wunsch, als jüngste Seglerin alleine die Welt zu umrunden. Die Mutter ist dagegen, ein Gericht untersagt im Oktober den tatsächlich lebensgefährlichen Törn. Die inzwischen 14-Jährige gibt nicht auf, hebt 3500 Euro von ihrem Konto ab und fliegt auf die zum niederländischen Königreich gehörende Karibikinsel Sint Maarten. Von dort wird sie in die Aufsicht der niederländischen Polizei zurückgeschickt. Nun droht ihr die Einweisung in ein geschlossenes Heim.

Selbst Laura wird vermutlich nicht genau wissen, ob die Idee der einsamen Weltumsegelung der Sehnsucht nach Freiheit entspringt, eher eine Flucht vor der Partnerschaftskrise der Eltern ist oder gar der verzweifelte Versuch, die gemeinsame Vergangenheit zu dritt auf dem Segelboot wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Und natürlich ist die Situation an sich, so tragisch sie auch von dem Mädchen selbst empfunden werden mag, Ausfluss einer Wohlstandsgesellschaft, in der ein Teenager mal eben sehr viel Geld zur Verfügung hat. In anderen Ländern der Welt, aber auch in anderen sozialen Schichten in Mitteleuropa, müssen 14-jährige zum Lebensunterhalt der Familie beitragen und träumen nicht von einer Weltreise, sondern von einem Kinobesuch, wenn sie nicht als Kindersoldaten zum Töten gezwungen oder selbst getötet werden.

In den USA wäre vermutlich keine staatliche Behörde auf die Idee gekommen, sich in die Wunschvorstellungen der Jugendlichen einzumischen. Der Vater hatte ja erkennbar nichts dagegen, Dritte werden nicht geschädigt, und da hat sich der Staat dann nach originärem amerikanischen Verständnis heraus zu halten. Die europäische Tradition des Wohlfahrtsstaates ist anders. Deshalb glauben niederländische Behörden, die 14-Jährige zu einem Glück zwingen zu müssen, das sie selbst wahrscheinlich als Tragödie empfinden würde: Statt in der Freiheit des Meeres in einem geschlossenen Heim. In Deutschland wäre der Fall vermutlich auch nicht anders gelaufen.

Welche Form der Selbstbestimmung die angemessene ist, muss jeder selbst entscheiden. Im Mittelalter regierten Heranwachsende in Lauras Alter Königreiche, vor 200 Jahren wurden 20-jährige geachtete Hochschullehrer. Unsere Zeit hat, registrieren wir stolz, die Kindheit eigentlich erst entdeckt, die Lebensphase also, in der junge Menschen keinem Druck und keinen Pflichten ausgesetzt sind, in der sie einfach spielen dürfen. Dabei behüten wir sie. Und wie. Inzwischen ertragen wir nicht nur Kinder, die sich so aufführen, wie sie es bei Erwachsenen sahen, sondern Erwachsene, die ewig Kind bleiben möchten. Ist da eine 14-Jährige, die die Welt umsegeln möchte, nicht eher nur – bewundernswert?

Gerd Appenzeller

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