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Meinung: Lauter, nicht laut

Deutschland muss sich mit der Affäre Friedman befassen wie mit jeder anderen auch / Von Jacob Heilbrunn

Sollten sich die Anschuldigungen gegen Michel Friedman als falsch herausstellen, wäre es wie eine Geschichte von Kafka: ein unschuldiges Opfer, gefangen in einem Netz von Verdächtigungen, in dem man sich mit jedem Befreiungsversuch nur noch mehr verstrickt. Wenn sie hingegen wahr sind – was immer wahrscheinlicher scheint –, wird Friedman als ein hoch aufgestiegener Jude dastehen, der eine Moralität predigt, an die er sich selbst nicht hält.

Wie auch immer, Friedman verdient keine besondere Behandlung, von keiner Gruppe der Gesellschaft. Dies ist kein Anlass für ungewöhnliche Rücksichtnahme. Es sollte vielmehr ganz natürlich und selbstverständlich sein, dass Deutschland die Affäre Friedman genauso unbarmherzig verfolgt und debattiert, wie es das bei jedem anderen gesellschaftlichen Skandal täte. Merkwürdig wäre es, sich nicht mit Friedman zu befassen.

Er selbst wird sich über das Medienecho nicht wundern. Er ist seit Jahren ein Spürhund der Medien. Ist er der Sehnsucht nach immer stärkeren Reizen verfallen auf seiner Suche nach dem außergewöhnlichen Leben? Man darf wetten: Wenn die jetzt bekannten Vorwürfe sich bestätigen, dann wird noch einiges mehr ans Licht kommen. Er hat sich selbst zu einer TalkshowPersönlichkeit gemacht und erlebt nun die Kehrseite der Kultur, in der er geschwelgt hat. Er hat keinen Anlass, sich zu beklagen.

Das gilt auch für die Repräsentanten des Judentums. Der Zentralrat sollte Friedman weder verteidigen noch ihn fallen lassen, sondern lediglich die Hoffnung ausdrücken, dass sich die Dinge klären. Die lauten Verteidigungsreflexe, die von dort nach außen dringen, sind ein Fehler. Friedman ist hier nicht als Jude angegriffen worden – sondern als normaler deutscher Bürger, der vielleicht das Recht gebrochen hat oder eben auch nicht. Zu behaupten, dass er als Jude herausgegriffen wurde, grenzt an den Versuch, ihm Vorteile zu verschaffen.

Ja, ich weiß schon: Dieser Skandal hat eine besondere Note und seinen Reiz für das rechtsradikale Segment, weil es um einen Juden geht und zum Vorurteil sexueller Gier der Juden passt, die angeblich Jungfrauen vergewaltigen. Aber jetzt mal ernsthaft: Jede schlüpfrige Geschichte um Prominente findet tendenziell eine breite Publizität. England hat einen kleinen Wirtschaftszweig aus Sex-Affären gemacht, in die Politiker unter möglichst bizarren Umständen verwickelt sind – von Premierminister Gladstone im 19. Jahrhundert, der nachts Prostituierte besucht haben soll, um sie zu „reformieren“ und sich anschließend zu geißeln, bis zur Enthüllung, dass selbst der blasse John Major eine heiße Affäre hatte. Es hat fast den Anschein, als könne in England niemand ohne Seitensprünge eine respektable Politikerkarriere machen.

Jede Sexgeschichte hat im Grunde mehr von einer Farce als von einer Tragödie. Friedmans Probleme sind rein persönlicher Natur. Und damit völlig anders gelagert als der letzte große jüdische Skandal in Deutschland: der um Werner Nachmann, den früheren Vorsitzenden des Zentralrats. Nachmann hatte das Ansehen des Zentralrats direkt beschmutzt und ihn ausgenutzt. 1988 deckte sein Nachfolger Heinz Galinski auf, dass Nachmann 33 Millionen D-Mark Wiedergutmachungsgelder unterschlagen hatte. Deutschland hat diesen Skandal überstanden, die deutsch-jüdische Gemeinschaft ebenfalls. Sie wird auch überleben, was immer noch Unappetitliches in der FriedmanGeschichte ans Licht kommen mag.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times". Foto: Kai-Uwe Heinrich

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