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Meinung: Lauter Tränen

Was die Linke ist? Eine Partei, zwei Parteien und 800 Seelen

Von Axel Vornbäumen

Lange nichts mehr von Rousseau gehört. Dabei wäre die Zeit dafür nun wirklich günstig. Oskar Lafontaine hat den französischen Philosophen doch so gern im Wahlkampf zitiert, meistens zweimal und immer mit Betonung, weil die Botschaft auf Anhieb nicht so leicht zu verstehen ist: „Zwischen dem Starken und dem Schwachen befreit das Gesetz, während die Freiheit unterdrückt.“

Ach ja, die Freiheit! Gut möglich, dass Lafontaine dieser Tage Rousseau in eigener Sache heimlich ein paar Tränen nachweint. Wie hilfreich wäre nun ein entsprechendes Gesetz, eine Art Fusionsgesetz; vieles wäre mal wieder leichter in Sachen Parteienzusammenführung.

Achtung, das war Abteilung bittere Ironie! Denn der Traum von einer vereinigten Linken in Deutschland – nach dem Schröder’schen Neuwahlcoup im vergangenen Sommer unter Hochdruck zu einer formidablen Seifenblase aufgepumpt – droht gerade zu zerplatzen. Richtig konturenscharf war er ohnehin nie. Nun aber hat der Berliner Sprengel der WASG mit seiner Entscheidung, bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus konkurrierend zur vorgeblich „neoliberalen“ Linkspartei/PDS anzutreten, auch noch zum Seifenblasenplatz-Wettbewerb aufgerufen. 800 Seelen dürfen darüber jetzt befinden, das Ganze nennt sich „Urabstimmung“. Es ist ein bisschen so, als hätten Jürgen Klinsmanns Innenverteidiger gerade beschlossen, bei der kommenden WM von Zeit zu Zeit auf das eigene Tor zu stürmen. Wenigstens ist damit entsprechende Heiterkeit beim Gegner garantiert: Links ist da, wo sie sich selbst ein Bein stellen.

Und wo sonst noch? Die 100-Tage-Bilanz der Linkspartei im Bundestag fällt ernüchternd aus. Von den gelegentlich prognostizierten tektonischen Verschiebungen in der Parteienlandschaft der Bundesrepublik ist nichts zu spüren. Die Linke hat nicht Tritt gefasst, draußen nicht und im hohen Hause auch nicht. Lafontaine fehlt merkwürdigerweise der Resonanzraum, den er jahrelang noch in seiner Funktion als von der Fahne gegangener SPD-Vorsitzender hatte, Gregor Gysis rhetorisches Potenzial mag enorm sein, sein visionäres ist überschaubar. Lothar Bisky, der Parteichef, hat immer noch an der Entscheidung zu knabbern, dass man ausgerechnet ihm wegen mangelnder Salonfähigkeit die Möglichkeit abgesprochen hat, den Bundestag als Vizepräsident repräsentieren zu dürfen.

Weit betrüblicher aus Sicht der Linken ist aber: Das große Mobilisierungsthema des Wahlkampfsommers – Massenarbeitslosigkeit und Hartz IV –, wiewohl immer noch vorhanden, wird derzeit seltsam unaufgeregt auf der politischen Agenda behandelt. Die Linke dringt damit nicht durch. Die Partei (und es sind ja immer noch zwei) ist von ihrem Selbstverständnis, eine „moderne Bürgerrechtspartei mit einem Gebrauchswert im Alltag“ zu sein, wie es der Parteibeauftragte für die Fusion, Bodo Ramelow, nennt, derzeit weiter entfernt denn je.

Nun droht mal wieder Selbstbespiegelung in Reinkultur. Das Szenario könnte aber auch absurder nicht sein. Im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt vom kommenden Herbst an ein kleines WASG- Grüppchen, das gegen eine rot-rote Koalition opponiert, während ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt im Bundestag die WASG-Mitglieder geschlossen zur Linkspartei übertreten müssen, um dort verfassungsjuristisch halbwegs wasserdicht mit Fraktionsstatus opponieren zu können.

Und der „Gebrauchswert“? Ähnlich der Seifenblase – kurzfristig schillernd, letztlich aber zu leicht, um Spuren zu hinterlassen.

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