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Meinung: Leben unterm Elysium-Eis

An Marsmenschen sollte nur glauben, wer sie gesehen hat

Alexander S. Kekulé Seit vergangener Woche ist endlich klar, so meinen namhafte Wissenschaftler, wie die „grünen Männchen“ vom Mars aussehen: Sie sind von schleimigwabbeliger Gestalt und haben so etwas Ähnliches wie Haare auf ihrer Oberfläche. Zur Fortpflanzung teilen sie sich einfach in der Mitte. Sie haben kein Gehirn und keine Nerven und können selbst unter extremsten Bedingungen überleben. Nur ob sie wirklich grün sind, muss noch geklärt werden: Da die Marsbewohner winzige Bakterien sein sollen, hat sie leider noch niemand gesehen.

Das Thema beflügelt die Fantasie der Erdbewohner schon länger. Bereits im 18. Jahrhundert hielten Astronomen die Marszivilisation für weiter entwickelt als die auf der Erde. Als Giovanni Schiaparelli dann 1877 die „canali“ auf dem Roten Planeten entdeckte, schien der Beweis erbracht: Nur intelligente Lebewesen konnten ein derart reguläres System von Wasserstraßen angelegt haben. Später machte schnöde Wissenschaft die schöne Fiktion zunichte – die „canali“ wurden als optische Täuschungen entlarvt.

Auch jetzt war es der gleiche Aufschrei, der die nicht tot zu bekommende Wissenschaftsfiktion zum Leben erweckte: „Wasser!“

Zumindest stehen die Chancen diesmal gut, dass es sich nicht um eine Fata Morgana handelt. Auf den gestochen scharfen Fotos der europäischen Raumsonde Mars-Express ist eine riesige Eisscholle zu sehen – das Forscherteam unter Leitung des britischen Astrogeologen John Murray ist sich da absolut sicher. Das Packeis in der Elysiumebene in der Nähe des Marsäquators soll so groß wie die Nordsee und etwa 45 Meter dick sein. Zusätzlich bestätigte Mars-Express ältere Vermutungen, wonach die Atmosphäre unseres Nachbarplaneten sehr viel Methan und Formaldehyd enthält. Der zuständige Projektleiter Vittorio Formisano aus Rom hält es für ausgeschlossen, dass so große Mengen dieser organischen Substanzen aus „nichtbiologischen Quellen“ wie etwa Vulkanismus oder Meteoriten stammen könnten. Unter der Elysium-Eisfläche, so die Vermutung, müsse es durch geothermische Prozesse warm gehaltenes Wasser geben, in dem Methan produzierende Bakterien leben. Schließlich habe man ja auch auf der Erde Bakterien entdeckt, die seit Milliarden Jahren tief unter der Oberfläche vegetieren.

Die elysische Euphorie, die auch andere Weltraumforscher erfasst hat, ist jedoch alles andere als wissenschaftlich begründet. Die Existenz von Methan und Formaldehyd produzierenden Bakterien auf dem Mars würde bedeuten, dass sich das Leben ein zweites Mal so wie auf der Erde entwickelt hat. Vor etwa 3,8 Milliarden Jahren entstanden auf dem Blauen Planeten die ersten Bakterien. Ihr Funktionsprinzip, dass Nukleinsäuren (DNS, RNS) die Erbinformation speichern und Proteine die biologischen Abläufe steuern, ist in der Evolution bis zum Menschen unverändert geblieben. Die Entstehung dieses sich selbst replizierenden Prinzips, des „genetischen Codes“, aus anorganischer Materie ist das ursprüngliche Wunder des Lebens. Keinem Chemiker ist es je gelungen, diesen Bio-Urknall im Labor nachzustellen. Deshalb nehmen die Ursuppen-Forscher heute an, dass es eine oder mehrere Vorstufen gegeben haben muss, aus denen schließlich der genetische Code entstanden ist. Das irdische Leben hat seine Entstehung demnach einer Verkettung von Zufällen zu verdanken.

Und wenn sich das extrem Unwahrscheinliche dennoch auf dem Roten Planeten wiederholte? Dann hatte der Schöpfer wohl keine andere Wahl, als das Leben genau so zu erschaffen wie es ist – im Paradies auf Erden wie im Elysium auf dem Mars.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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