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Leitbilder: In weiblicher Hand

Unsere Söhne haben ein Bildungsproblem – weil ihnen die männlichen Leitbilder fehlen

Es war ein Mann, der behauptet hat, dass der Grad der Freiheit einer Gesellschaft sich immer misst an der Stellung der Frau. August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ wurde zum populärsten Text der Arbeiterbewegung des vordemokratischen Kapitalismus – einer Zeit also, in der auch Millionen Männer nur ihre Ketten zu verlieren hatten.

Gewerkschaftsführer verweisen heute auf Hartz IV, Frauen auf die durchweg männlichen Vorstände der Dax-Unternehmen. Es stimmt ja, dass die soziale Frage offen und die Frauenfrage nicht erledigt ist. Wahr ist aber auch: Wer staatlichen Sozialtransfer und Dax-Vorstände im Visier hat, den bedrücken nicht mehr in erster Linie die Ketten. Befreiungsbewegungen merken oft nicht, wie sich mit wachsendem Erfolg hinter ihrem Rücken die Ziele wandeln, wie aus edlem Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung der Hunger nach Teilhabe an Mitteln und Macht wird. Der ist völlig legitim. Aber auch ein Grund zur Selbstvergewisserung: War es das, was wir erreichen wollten?

In den letzten 15 Jahren hat sich der Erfolg von Mädchen und Jungen im Bildungsbetrieb geradezu umgekehrt. Es ist nicht nur so, dass Jungen bei Zensuren und Schulabschlüssen drastisch ins Hintertreffen geraten sind. Mädchen haben positive Leitbilder, Jungen eine Männlichkeitskrise vor Augen. Sie bevölkern die Hauptschulen, sehen Gewaltvideos, stellen die Mehrfachtäter und Amokläufer. In den 90er Jahren war die Vermutung noch zulässig, dass die Mädchen auf kompensatorischer Aufholjagd sind. Heute wissen wir: Das Bildungsproblem der männlichen Jugend ist ein Trend, der sich von Jahr zu Jahr verstärkt.

Im Prinzip ist das bekannt. Und es darf auch darüber gesprochen werden – doch das Gerede taugt nur zu der Nebelwand, hinter der unser Zeitalter seine Tabus zu verstecken pflegt. Im Ernst lassen wir es nicht an uns heran: Wie beunruhigend es ist, wenn langsam gewachsene und tief sitzende kulturelle Muster sich so schnell verändern. Wie irritierend, wenn zwischen den Geschlechtern ein neues Besser und Schlechter entsteht. Kann doch jede Frau voller Überzeugung sagen: Das war es nicht, was wir erreichen wollten. Gibt es doch für das männliche Bildungsversagen viele Erklärungen jenseits des Geschlechterschemas. Zum Beispiel die Arbeitslosigkeit oder die ungelösten Probleme im Gefolge der Migration.

Doch das Schulversagen so vieler Söhne ist eben auch ein Resultat der Kämpfe ihrer Mütter. Die Macht der Frauen reicht nicht in die Vorstände der großen Unternehmen. Aber Kindergarten, Familie und Schulen sind fest in weiblicher Hand – zum Nachteil der Jungen, die Väter, Lehrer und männliche Leitbilder brauchen. Die Frage muss zugelassen werden, ob die Feminisierung der Erziehungswelten den Frauen zwar formelle und informelle Macht, den Heranwachsenden aber Freiheiten nimmt. Noch einmal Bebel: „Es gibt keine Befreiung ohne die Gleichstellung der Geschlechter.“

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