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Meinung: Der 20. Juli 1944 – die Vergangenheit ist gegenwärtig

„Folgen fehlender Gefolgschaft“ vom 19. Juli 2004 In seinem Artikel stellt Herr Seligmann die Vorgänge und Hintergründe dieses Geschehnisses überwiegend richtig dar.

„Folgen fehlender Gefolgschaft“ vom 19. Juli 2004

In seinem Artikel stellt Herr Seligmann die Vorgänge und Hintergründe dieses Geschehnisses überwiegend richtig dar. Ich selbst war bei Kriegsende knapp 18 Jahre alt und Soldat. Der Anschlag im Hauptquartier wurde von uns jungen Menschen fast ausnahmslos verurteilt, obwohl seit mehr als einem Jahr auch bei uns starke Zweifel an einem für Deutschland erträglichen Ausgang des Krieges bestanden.

Von einem „ungefährdeten Prestige Hitlers“ im Sinne von weiterhin treuer Ergebenheit konnte nicht mehr die Rede sein, jedenfalls innerlich nicht. Desgleichen nicht von einer „ungebrochenen Treue der Deutschen zu ihrem Führer“.

Was sich heute für viele, die über die Dinge schreiben und urteilen, so darstellt, hatte seine Wurzel woanders.

Viele Menschen hatten bis zum erkennbaren Niedergang Leid und Tod hingenommen oder nehmen müssen. Da wuchs im größten Teil des Volkes aus Hilflosigkeit und Verzweiflung das Gefühl, dass diese Lasten und Opfer doch nicht umsonst, für nichts, gewesen sein konnten. Dieser Gedanke – und nicht die ungebrochene Treue zur Führung – ließ die Menschen weitermachen. Das war eine verbreitete Gefühlslage, die von den nachwachsenden Generationen wohl schwer zu erfassen und somit, jedenfalls teilweise, zu verstehen ist.

Arno Berndt, Berlin-Steglitz

Hier irrt der Verfasser Seligmann! Der Putsch des 20. Juli 1944 scheiterte nicht „an der Treue der Deutschen zu Hitler“, sondern daran, dass die Bombe des Obersten Stauffenberg nicht Hitler, sondern vier andere bei der Besprechung Anwesende tötete. Wer am Tage des Attentats per Radio Zeuge der gescheiterten Verschwörung war, wie der Unterzeichner dieses Briefes, konnte die breite Enttäuschung über den missglückten Ausgang des Komplotts spüren und in vertrauten Kreisen immer wieder durch entsprechende Erklärungen erfahren. Im Übrigen beweisen die im Tagesspiegel vom 18. Juli hervorragend chronologisch aufgelisteten Maßnahmen verschiedener militärischer Stäbe, wie groß die Unterstützung der Pläne Stauffenbergs gediehen war. Es besteht also kein Grund, für das Scheitern des Putsches „den Deutschen“ die Schuld zu geben.

Prof. Dr. Ernst Karl Pakuscher, Berlin-Schmargendorf

„Politiker von FDP und Union wollen 20. Juli als Gedenktag“ vom 20. Juli 2004

Die instinktbetonte Grundfrage lautet: Ab wann war der Untergang des Dritten Reiches mit seiner NS-Diktatur am 8. Mai 1945 vorhersehbar?

1923 Hitler-Putsch München

1925 „Mein Kampf“-Ersterscheinung

1933 Machtergreifung

1939 Kriegsbeginn

1943 Stalingrad – Luftherrschaft geht verloren

1944 Attentat auf Hitler 20. Juli.

Karl Raab, Schleching

„Einig nur im Widerstand“ vom 19. Juli und „Ihr Leben für Deutschland“ vom 20. Juli 2004

Verdienstvoll, weil bei aller berechtigten und notwendigen Ehrerbietung gegenüber den Mutigen des 20. Juli 1944 leider meist verdrängt, weisen Gerd Appenzeller in seinem Leitartikel zum Tage und Ernst Piper in seiner Buchbesprechung auf das Weltbild der meisten Attentäter hin. Sie wollten keineswegs der Weimarer Reichsverfassung wieder zur Geltung verhelfen oder einen republikanischen Rechtsstaat in unserem Verständnis schaffen.

Sie waren ganz überwiegend fest verankert in obrigkeitsstaatlichen, wilhelminischen Denkkategorien und der Gemeinschaft der Adligen. Im besprochenen Buch „Vom König zum Führer“ von Stephan Malinowski wird in geradezu erschreckender Weise dargelegt, wie stark die Verstrickung zwischen Adel und Nationalsozialismus war.

Diese Vergangenheit hat der Adel nicht einmal ansatzweise aufgearbeitet (wozu auch, seine Mitglieder werden ja von Teilen der Gesellschaft wahrlich hofiert) und es stellt sich mir die Frage, warum wird von der deutschen Adelsgemeinschaft nicht auch Wiedergutmachung dafür eingefordert, dass sie wesentlich zu den beiden Weltkriegen beigetragen hat?

Joachim Schwartzkopf, Berlin-Heiligensee

In meiner Schulzeit in Berlin-Steglitz (Besuch der Lilienthalschule von 1956 bis 1965) wurde sehr ausführlich über die Ereignisse des 20. Juli 1944 gesprochen und zwar nicht zu Jubiläumsjahren, sondern jedes Jahr! Solange ich zurückdenken kann, habe ich mit unserem Schulchor jedes Jahr kurz vor den Sommerferien bei einer Gedenkveranstaltung in Plötzensee in Anwesenheit der damals noch zahlreichen Angehörigen der Opfer gesungen. Von einer Missachtung oder Schmähung dieser Personen konnte überhaupt keine Rede sein in den ausklingenden Fünfzigern und beginnenden Sechzigern.

Kathrin Sieg, Jg. 1945, Berlin-Lichtenrade

Als ich – Jahrgang 1943 – ein Kind war, hörten wir in der Schule viel über die Umsiedlung von neun Millionen Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten und gingen mit den Gleichaltrigen dieser Betroffenen in eine Klasse. Aus Breslauern wurden Vogtländer; 20 Jahre später waren die Unterschiede verwischt. 2002 feierten wir das 45-jährige Klassentreffen: Da fragte niemand mehr nach der geografischen Herkunft.

Wir lasen 1952 das Potsdamer Abkommen im Wortlaut und begriffen als Kinder substanziell wie moralisch, dass wir einen schlimmen Krieg angezettelt und verloren und dafür Tribut zu zahlen hatten. Ich war 1978 in der Wolfsschanze in Rastenburg: Stauffenberg war in Polen wie in der DDR „in“, seine Tat wurde in der DDR gleichermaßen gewürdigt wie die Aktivitäten der „Weißen Rose“ oder der „Roten Kapelle“.

Die DDR hatte mit dem Widerstand gegen Hitler ein recht ungebrochenes Verhältnis. Die Flüchtlinge und Umsiedler gemäß den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens haben wir aufgenommen und integriert; es gab kein „Vertriebenen“-Problem. Frau Steinbach – auch Jahrgang 1943 – bewirft heute die politischen Vollstrecker der juristisch nach wie vor gültigen Potsdamer Beschlüsse vom August 1945 mit Dreck und fordert das neue Europa durch ihre maßlosen Ansprüche heraus.

Wir Ostdeutsche haben ab 1945 durch die Reparationen an die Sowjetunion erfahren dürfen, was Buße ist: Abbau von Bahngleisen, Demontage funktionsfähiger Großbetriebe, Ausbeutung im Uranbergbau. Dialektisch korrekt waren aber die Sieger auch solidarisch mit unseren Nöten: Wir sind nicht verhungert und durften uns selbst wieder verwirklichen. Das haben wir getan, und ich bin stolz darauf. Insofern reiht sich das Attentat vom 20. Juli ’44 progressiv in eine historische Linie ein, die im Osten Deutschlands konsequent verfolgt wurde.

Gottfried Vogel, Teltow

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