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Meinung: Ein sympathischer Regelverstoß

„Eine Frage der Gewalt / 9. November 1918/1989: Gespräch mit dem Historiker Hans-Ulrich Wehler über Revolutionen in Deutschland“ vom 8.

„Eine Frage der Gewalt / 9. November 1918/1989: Gespräch mit dem Historiker Hans-Ulrich Wehler über Revolutionen in Deutschland“ vom 8. November

Vielen Dank für das lesenswerte Interview mit Hans-Ulrich Wehler über Revolutionen in Deutschland. Professor Wehler vertritt darin unter anderem die Ansicht, dass die friedliche Revolution in der DDR in Wirklichkeit wohl keine Revolution gewesen sei, weil man „bisher mit einer Revolution immer den Einsatz von Gewalt verbunden“ hätte.

Hier bin ich anderer Auffassung. Vergleicht man die Lage in Deutschland im Sommer 1989 mit der Lage in Deutschland im Spätherbst 1990, wird man kaum umhinkommen, von einer revolutionären Umwälzung zu sprechen. Im Sommer 1989 war Deutschland geteilt und Ostdeutschland noch unter der Herrschaft der SED. Im Spätherbst 1990 war Deutschland – nach über 40 Jahren Teilung – wiedervereinigt und die politische Herrschaft der SED in Ostdeutschland gebrochen.

Dies alles wäre ohne die Menschen in der DDR nicht möglich gewesen. Am 9. Oktober 1989 etwa gingen in Leipzig 70 000 Menschen auf die Straße, obwohl das Regime im Vorfeld dieser Montagsdemonstration unverhohlen mit dem massiven Einsatz von Gewalt gedroht hatte. Am 9. Oktober 1989 brach der Widerstandswille des SED-Regimes. Die zusammengezogenen Sicherheitskräfte kamen nicht zum Einsatz. Rund eine Woche später stürzte Honecker. Einen Monat später fiel die Mauer.

Wesentliches Element jeder Revolution ist der Bruch mit den überkommenen Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Hier hat die Revolution in der DDR vielleicht einen der sympathischsten Regelverstöße begangen: Sie hat gezeigt, dass Menschen auch ohne Gewalt Revolutionäres bewirken können.

Martin Lutz, Berlin-Charlottenburg

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