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Meinung: Erst lesen, dann reden

„Nooke greift Ex-Kanzler Schmidt an“vom 6. Dezember„Das Konzept der Menschenpflichten von Helmut Schmidt ist ein Angriff auf den Universalitätsgedanken“.

„Nooke greift Ex-Kanzler Schmidt an“

vom 6. Dezember

„Das Konzept der Menschenpflichten von Helmut Schmidt ist ein Angriff auf den Universalitätsgedanken“. Bei dieser Aussage Günter Nookes fragt sich der Leser, warum der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung aus der Warnung des Ex-Kanzlers „vor der zerstörerischen Kraft der Berufung auf Rechte ohne Pflichten“ die absurde Forderung zieht, „Helmut Schmidt verrate die Idee der Menschenrechte“, denn „wer die universale Geltung der Menschenrechtserklärung von 1948 relativiere, stelle sich gegen Menschenrechte“. Anscheinend hat Nooke Schmidts klare Ausführungen zu diesem Thema in seinem Buch „Außer Dienst“ nicht oder nur oberflächlich gelesen. Der Individualethiker und kritische Rationalist Schmidt hat den situativ sinnvollen Ratschlag des Apostels Paulus: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit …, für die Dauer von beinah zweitausend Jahren als christliches Gebot zu etablieren“ mit Hinweisen auf die Barmer „Theologische Erklärung“, die „an die Verantwortung der Regierenden und Regierten erinnerte, und auf „mehrere Zusammenbrüche deutscher Obrigkeitsstaaten“, als „folgenschweren Irrtum“ bezeichnet. Das der danach „verständlichen einseitigen Betonung der Rechte des Einzelnen im Grundgesetz von 1949“ aber „auch Pflichten gegenüberstehen, scheint im Denken vieler Mitbürger allerdings nur eine geringe Rolle zu spielen“. Es werde zwar „viel von Rechten und Ansprüchen, die der Einzelne gegen den Staat hat und haben soll, aber kaum von der Verantwortung der Staatsbürger gegenüber der Gesellschaft, der Nation und ihrem Staat gesprochen“ (S. 312 f.). Daher ist „jeder, der Verantwortung für andere hat, nicht nur für seine Ziele und Absichten verantwortlich, sondern ebenso für die Folgen seines Handelns und Unterlassens. Je mehr ein Mensch Macht hat über andere, je mehr Einfluss er auf andere und deren Leben ausübt, desto schwerer lastet auf ihm die Verantwortung für die Gemeinwohl, umso schwerer wiegen seine Pflichten. Keine Gesellschaft freier Bürger kann auf Dauer ohne die Tugenden der Bürger bestehen. Die Nation braucht nicht nur die Grundrechte, sondern ebenso die Tugenden. Beide zusammen bilden die Grundwerte, auf denen unsere demokratische Gesellschaft beruht.“ (S. 335)

Seine Grundsätze leitet Schmidt von den Ideen seiner philosophischen Vorbilder Marc Aurel, Kant und Popper her, jeder Form des Kollektivismus wohl unverdächtigen Autoritäten. Hieraus eine Relativierung der Menschenrechte oder gar den Gedanken an Kollektiven als deren Trägern ausgerechnet Helmut Schmidt zu unterstellen, der den wohl eher zu Kollektiven neigenden „Visionären“ in seiner Partei oft genug die Leviten gelesen hat, ist intellektuell ebenso unredlich, wie ihn für einen etwaigen verfälschenden Missbrauch seiner Aussagen durch Kollektivgewalten in bestimmten Regionen der Welt verantwortlich zu machen.

Wolfgang Sachs, Berlin-Tempelhof

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