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Meinung: KOPFTUCHVERBOT IN BERLIN Warum „oben ohne“ anordnen?

Unser Leser Dr. Ümit Yazicioglu befürchtet die Stigmatisierung von Musliminnen. Der Integrationsbeauftragte Piening findet den Gesetzentwurf gut, weil er für alle gilt

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Zu: „Auf dem Kopf und im Kopf“ vom 29. März und „Regierungsparteien einigen sich auf Kopftuchverbot“ vom 31. März 2004

Das Bundesverfassungsgericht hat im „Fall Ludin“ im September 2003 entschieden, dass die Bundesländer durch Landesgesetze regeln sollen, ob sie das Kopftuch für Lehrerinnen im Schuldienst zulassen wollen oder nicht. Meist wird als Grund der Verstoß gegen das in Artikel 3 Abs. 22 Grundgesetz verankerte Gleichheitsgebot von Mann und Frau angeführt. Es muss aber berücksichtigt werden, dass sich Musliminnen, die ein Kopftuch tragen, in der Regel ohne Kopftuch so fühlten, als wären sie „oben ohne“. Ein Kopftuchverbot würde diese Frauen folglich systematisch aus dem öffentlichen Raum verdrängen. Die Analyse der CDU-Politikerin Rita Süssmuth ist richtig, wenn diese sagt, dass ein Verbot „die Fanatiker“, die eher für eine Unterdrückung der Frau stehen, nutzen würden (was es zu verhindern gilt).

Zwischen der Situation der Frauen, die das „muslimische“ Kopftuch freiwillig tragen und solchen, die dazu gezwungen werden, liegen Welten. Die einen üben ihr Recht auf freie Wahl aus, die anderen sind der freien Entscheidung beraubt. Die Bedeutung differiert von Region zu Region. Es liegt jedoch die Vermutung nah, dass Frauen in Deutschland, die ein Kopftuch tragen, dies tendenziell eher aus eigener Überzeugung tun.

Die Gegner eines Kopftuchverbots sehen natürlich die Gefahr eines Missbrauchs, aber jede Freiheit birgt auch Gefahren in sich. Das Ziel einer restriktiven Handhabung bezüglich des Kopftuches, das einem unverhältnismäßig starken Sicherheitsbedürfnis entspringt, verkehrt sich schnell ins Gegenteil. Die politische Instrumentalisierung des Kopftuches wird zur Regel erklärt, wodurch man Extremisten das Interpretationsmonopol über das Kopftuch überlässt. Im gleichen Zuge drängt man Kopftuch tragende Frauen aus dem öffentlichen Raum. Mit der Bewahrung von Frauen vor Unterdrückung hat das wenig zu tun.

Pauschale Gesetze, die ein Kopftuch bei Lehrerinnen verbieten, stigmatisieren den Islam und vor allem die jeweiligen Frauen. Gegen eine friedliche Integration von Musliminnen, die das Kopftuch als Bestandteil ihrer Religion betrachten, ist nichts einzuwenden. Dr. Ümit Yazicioglu, Berlin-Schöneberg

Sehr geehrter Herr Dr. Yazicioglu,

pauschale Gesetze, die allein das Kopftuch bei Lehrerinnen verbieten, stigmatisieren den Islam und vor allem die jeweiligen Frauen – Ihrer Einschätzung kann ich nur beipflichten. Vor dem Gesetz sollten alle Religionen gleich sein. Darum hat sich der Gesetzentwurf zum Tragen religiöser Symbole, auf den sich die Berliner Regierungskoalition in dieser Woche geeinigt hat, auch strikt am Neutralitätsgebot orientiert, das vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vorgegeben wurde. Anders als etwa in Baden-Württemberg oder Bayern, wo sich das Verbot nur auf islamische Symbole beschränkt, wird es in Berlin kein „Lex Kopftuch“ geben.

Das neue Gesetz ist auch kein rigoroses Instrument, Religionsferne durchzusetzen, wie im laizistischen Frankreich. Die Bekenntnisfreiheit als solche wird nicht eingeschränkt. In einigen Bereichen, in denen der Staat eine Monopolstellung hat und in denen darum die Neutralitätspflicht der Beamtinnen und Beamten besonders hoch ist, dürfen aber künftig keine religiösen Symbole mehr getragen werden.

Ich habe immer dafür plädiert, die Kirche (oder die Moschee) im Dorf zu lassen und etwas gelassener mit religiöser Vielfalt umzugehen. Denn Kippa, Kreuz und Kopftuch gehören zur Einwanderungsstadt Berlin, sind Teil unseres Alltags. Ein generelles Verbot von Kopftüchern und anderen religiösen Zeichen im öffentlichen Raum würde ganze Bevölkerungsgruppen ausgrenzen und vielen muslimischen Mädchen ihren Einstieg in Bildung und Beruf verbauen.

Ich hoffe, dass sich nach Vorlage dieses Gesetzes die Diskussion um den Islam in Berlin wieder versachlicht. In den vergangenen Monaten waren manchmal Untertöne zu vernehmen, die bei vielen Muslimen den Eindruck erweckt haben, hier sollte der Islam ausgegrenzt und stigmatisiert werden. Muslimische Frauen mussten vielfach erleben, wie sie allein wegen ihres Kopftuchs unter Generalverdacht gestellt wurden.

Diesen Stimmungen sollten wir gemeinsam entgegentreten. Der Berliner Gesetzentwurf bietet dafür eine gute Grundlage, weil er vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeht und Rechtssicherheit und einen besseren Schutz vor Diskriminierung schafft. Meine Hoffnung ist, dass auch die Bundesregierung ihre Hausaufgaben macht und endlich das überfällige Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Denn dass, wie in Berlin geschehen, die Kopftuch tragende Mutter eines Angeklagten vor Gericht aus dem Zuschauerbereich verwiesen wird, an anderer Stelle Rechtsradikale ihre Gesinnung unbehelligt mit uniformen Kleidungsversatzstücken demonstrieren können, das ist in der Tat schwer zu ertragen.

Günter Piening ist Beauftragter des Senats von Berlin für Integration und Migration.

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