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Meinung: Muss das deutsche Waffenrecht verschärft werden?

Zum Amoklauf in WinnendenDas Gewaltmonopol hat völlig zu Recht der Staat. Trotzdem gibt es nach aktuellen Schätzungen in der Bundesrepublik zehn Millionen legale Handfeuerwaffen und etwa 40 Millionen illegale Feuerwaffen in privaten Händen.

Zum Amoklauf in Winnenden

Das Gewaltmonopol hat völlig zu Recht der Staat. Trotzdem gibt es nach aktuellen Schätzungen in der Bundesrepublik zehn Millionen legale Handfeuerwaffen und etwa 40 Millionen illegale Feuerwaffen in privaten Händen. Das sind beachtliche Zahlen. Und es stellt sich unwillkürlich die Frage: Was haben Waffen eigentlich in Privathaushalten zu suchen? Es gibt keine Notwendigkeit, Waffen und Munition zu Hause zu lagern, auch wenn Millionen Deutsche dies so handhaben. Über die prinzipielle Notwendigkeit von Schützenvereinen in Deutschland möchte ich mich hier nicht in größerem Umfang auslassen, aber ich meine, Schießen ist eine archaische Tradition, die in unserer Gesellschaft meines Erachtens nichts zu suchen hat.

Mitglieder von Schützenvereinen zum Beispiel könnten ihre privaten Waffen in gesicherten Depots lagern, auch bei (privaten) Jägern ist dies in meinen Augen durchaus zumutbar. Das Argument, solche Depots wären automatisch Ziele für Kriminelle, die sich so Zugang zu größeren Mengen Waffen verschaffen könnten, halte ich für absurd. Kriminelle, die sich Waffen besorgen wollen, haben dies mit ihren Kontakten leider auch bisher – und das anscheinend ohne größeren Aufwand, wenn man sich die Zahl der illegalen Handfeuerwaffen in Deutschland ansieht – geschafft. Auch wenn die Ursachen woanders liegen - Schusswaffen machen Amokläufe wie den von Winnenden erst möglich, vereinfacht kann man es auf den Nenner bringen: Keine Waffe – kein Amoklauf! Der Amoklauf von Winnenden macht wieder einmal deutlich, dass wir in Deutschland ein grundsätzliches Schusswaffenverbot für Privatpersonen brauchen. Je früher, desto besser.

Sascha Weigel, Berlin-Prenzlauer Berg

Sehr geehrter Herr Weigel,

Schusswaffen sind das Werkzeug, mit dem Amokläufe begangen werden. Insofern haben Sie recht, dass eine scharfe Kontrolle von Waffen oder sogar ein grundsätzliches Schusswaffenverbot Amokläufer ihrer Mittel weitgehend berauben würde. Aufgrund derartiger Überlegungen wurde das Waffenrecht nach dem Erfurter Amoklauf novelliert und nochmals im April 2008 verschärft. Damit hat die Bundesrepublik nunmehr eines der strengsten Waffengesetze weltweit. Dass es an einigen wenigen Punkten noch etwas Bewegungsspielraum gibt, stimmt. Insgesamt aber ist die Steigerung von Sicherheit, die durch weitere Verschärfungen des Waffenrechts erreichbar wäre, minimal. Sie liegt im Promillebereich. Nun mögen Sie einwenden, dass selbst minimale Verbesserungen erstrebenswert sind. Das stimmt, und deshalb ist diese Debatte überaus begrüßenswert vor allem für das Selbstverständnis einer zivilisierten Gemeinschaft, die damit ein Bekenntnis gegen jegliche Form von Gewalt ablegt. Die aktuelle, stark emotionale Diskussion erklärt sich aus dem Entsetzen über den Zivilisationsbruch, den ein Amoklauf bedeutet. Sie ist nicht Ausdruck einer gegenwärtigen dramatischen Gefährdung durch private Schusswaffen.

Damit ist die momentane Waffenrechtsdebatte weniger eine Sicherheitsdebatte als ein erneutes und bekräftigtes Bekenntnis zu einer Haltung gegenüber Schusswaffen, die historisch sehr jung ist. Bis tief ins 20. Jahrhundert gehörten Schusswaffen zum Alltag der Deutschen. Alt und Jung, Männer und Frauen, Schüler und Studenten, sie alle waren ganz selbstverständlich bewaffnet. Dieser weitgehend ungeregelte Gebrauch von Schusswaffen ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg einer stark reglementierten Waffenkultur gewichen. Schusswaffen gehören in Deutschland heute nicht mehr selbstverständlich zur Alltagskultur, und das ist gut so. Die hohe Zahl fahrlässiger Tötungen und Verletzungen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu beklagen war, ist ebenso gesunken wie die große Zahl der mit Schusswaffen verübten Selbstmorde. Das bundesdeutsche Waffenrecht führte zu der schrittweisen Verdrängung von Waffen aus dem Alltag und zu einer immer größeren Fremdheit und Irritation gegenüber Waffenbesitzern, wie sie auch aus Ihrem Brief spricht.

Jede waffenrechtliche Debatte sollte sich dieser historischen Prägungen bewusst sein, damit sie mit Besonnenheit und Augenmaß geführt werden kann. Wer um die historische Legitimation einzelner Waffenprivilegien weiß, kann abgeklärt darüber diskutieren, wie und in welcher Form diese Berechtigungen heute noch angemessen sind. Die pauschale Diffamierung aller Waffenträger ist dann unnötig. Vor allem Schützen bevölkern in Deutschland ein historisch gewachsenes Biotop. Trotz der Fremdheit, die die Mehrheitsgesellschaft ihnen gegenüber inzwischen empfindet, sind sie ebenso redlich wie die übrige Gesellschaft.

Daher gilt es, den restriktiven Umgang mit Waffen selbstbewusst als Ausdruck einer spezifisch bundesrepublikanischen Grundüberzeugung zu vertreten und eventuell auch über weitergehende Regeln nachzudenken. Im Wissen um die symbolische Bedeutung, die waffenrechtliche Fragen als bundesdeutsche Identitätsdebatte besitzen, kann es gelingen, im Eifer des Gefechts nicht die relativ geringe Gefährdung, die von privaten Schusswaffen in unserer Gesellschaft ausgeht, aus den Augen zu verlieren.

Mit freundlichen Grüßen

— Dr. Dagmar Ellerbrock, Fakultät für Geschichtswissenschaft der Universität Bielefeld, forscht über den Umgang mit Waffen.

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