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Meinung: SCHÜLER DEMONSTRIEREN GEGEN DEN KRIEG Nichts als Gehirnwäsche?

Die Schülerin Ada Labahn kritisiert Roger Boyes. Der hatte den Schulen unterstellt, sie würden die Schüler einseitig beeinflussen. Der englische Journalist antwortet.

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Betrifft: „Warum ich Schülerdemos meide“ vom 29. März 2003

Lieber Mr. Boyes,

Sie fühlen sich in Ihrem Gastland unter den vielen Kriegsgegnern nicht mehr wohl und schreiben, als Brite seien Sie in Erklärungsnot. Wo aber bleiben denn Ihre Erklärungen, die einen Krieg rechtfertigen? Die Befreiung des irakischen Volkes? Dass diese armen Menschen, die dort bombardiert werden, den Amerikanern dafür nicht danken, sollten Sie inzwischen den Medien entnommen haben. „Eine ganze Generation junger Deutscher wird mit Hilfe von Gehirnwäsche dazu gebracht zu glauben, Krieg sei von Natur aus böse. Irgendjemand nimmt diese Teenager auf den Arm“, schreiben Sie.

Wer nimmt Sie auf den Arm, frage ich Sie. Was halten Sie vom Völkerrecht? Wäre es nicht eine Errungenschaft der Menschheit, die die Welt langfristig friedlicher machen könnte, wenn wenigstens die so genannte zivilisierte Welt es respektierte? Die einzige verbleibende Supermacht sollte ordnungsstiftend wirken, statt das Völkerrecht zu verletzen. Auge um Auge, Zahn um Zahn: Menschenrechtsverletzung Saddams gegen Völkerrechtsverletzung einer BushAdministration? Sehen Sie in diesem Angriff noch wohlwollende Maßnahmen der amerikanischen Regierung? Sie hat sich leider mit ihrer Doppelmoral in Widersprüche verstrickt, die der Welt nicht verborgen geblieben sind.

Ada Labahn, Schülerin (17) aus Hamburg

Liebe Ada Labahn,

wenn sich noch mehr Ihrer Mitschüler solche Mühe machen würden, sauber zu argumentieren wie Sie, würde ich weniger an der neuen Friedensbewegung zweifeln. Und es scheint, als wären wir uns in einem entscheidenden Punkt einig: Die einzig verbliebene Supermacht soll Ordnung stiften. Aber wie soll das im Irak gehen, ohne Gewalt anzuwenden? Sollen wir warten bis Saddam abgewählt wird? Eher wird die Hölle gefrieren. Aber vielleicht sehen Sie wie viele Kriegsgegner Saddam gar nicht als großes Problem.

Saddam hat seine eigenen Leute vergast. Er hat seinen Nachbar überfallen. Das sind Verletzungen des Völkerrechts. Er hat sich der Uno zwölf Jahre lang widersetzt. Er gefährdet die Stabilität der Region. Er regiert sein Land mit solcher Brutalität, die dazu führte, dass sein Regime auch mit Gewalt beendet wird. Ja, Krieg ist grausam, aber manchmal kann er das kleinere Übel sein. Ich bin auch nicht glücklich, dass Amerika und England außerhalb des Völkerrechts agieren. Aber es bleibt für mich ein legitimer, wenn nicht sogar ein legaler Krieg.

Als Sie 12 Jahre alt waren, wurden die gleichen Einwände vor dem Kosovo-Krieg diskutiert: Bomben können keine Demokratie bringen, militärische Macht zerstört die regionale Stabilität, die diplomatischen Bemühungen sind noch nicht ausgeschöpft. Keiner dieser Einwände hatte Bestand. Die Diplomatie hat lediglich Milosevic Zeit gegeben, seine Macht auszubauen; Bomben hingegen ermöglichten die Voraussetzungen für eine Demokratie. Die Kleinkriege in Jugoslawien und die „ethnischen Säuberungen“ konnten gestoppt werden. Das Völkerrecht, mit anderen Worten, hat seine Grenzen. Um der Moral Geltung zu verschaffen, ist es manchmal nötig, außerhalb des legalen Rahmens zu handeln.

Aber ich wollte die Schulen vor allem dafür kritisieren, dass sie die Diskussionen im Klassenzimmer einseitig färben. Was auch immer richtig und falsch läuft bei diesem Krieg – und es läuft viel falsch –, es muss eine politische Entscheidung über Saddam geben. Unstabile Regime mit nicht kalkulierbaren Diktatoren sind die größte Herausforderung für das Völkerrecht. Die Schulen sollten sich vor dieser Diskussion nicht drücken.

Miss Labahn, Sie haben die Hauptfrage in meinem Artikel nicht beantwortet: Gibt es nichts, für das es sich lohnt zu kämpfen?

Roger Boyes, Korrespondent der „Times“

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