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Meinung: Sind Bundeshilfen für die Länder im Bildungsbereich sinnvoll?

„Eine Reserve für schlechte Zeiten“ vom 20. Februar 2006 Die Initiative, weiterhin Bundeshilfen für die Länder im Bildungsbereich zuzulassen, ist keineswegs so harmlos, wie die verantwortlichen Bildungspolitiker es darstellen.

„Eine Reserve für schlechte Zeiten“

vom 20. Februar 2006

Die Initiative, weiterhin Bundeshilfen für die Länder im Bildungsbereich zuzulassen, ist keineswegs so harmlos, wie die verantwortlichen Bildungspolitiker es darstellen. Bundeshilfen an die Länder sind ein trojanisches Pferd. Mit ihnen kommt immer die Einflussnahme des Bundes auf Bereiche, die nach dem Grundgesetz von den Ländern zu regeln wären. Das Ergebnis ist der Marsch in den Zentralstaat, den wir seit Mitte der sechziger Jahre erlebt haben – immer unter Beteiligung des Bundesrats. Wenn man eine Föderalismusreform wirklich will und ernst meint, so muss man das heutige System der Mischfinanzierung abschaffen. Wer das verhindert, hintertreibt die Reform in ihrer Gesamtheit.

Es kann jetzt schon vorausgesagt werden, dass eine Beibehaltung der Bundeshilfen im Hochschulbereich ein Einfallstor für die erneute Ausdehnung der Bundeszuständigkeiten schaffen wird. Und wenn der Bund den Ländern wieder anbietet, diese Bereiche durch Bundesgesetze mit Zustimmungspflicht des Bundesrats zu regeln (und das muss er tun, sonst kommen Verfassungsklagen), dann sind wir nach kurzer Zeit wieder genauso weit wie jetzt, und alles blockiert einander gegenseitig. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, dieser Blockade zu entgehen und das Land auf Dauer regierbar zu halten. Entweder man reformiert den Föderalismus auch auf der Finanzierungsseite. Das ist der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Dann muss man den Ländern eine breitere Steuerbasis schaffen, indem man Steuerhoheiten vom Bund auf die Länder verlagert. Oder man verzichtet auf eine solche Strukturreform, d. h. es geht so weiter wie bisher. Dann braucht man in Bund und Ländern dauerhaft eine große Koalition, mit allen Gefahren einer Radikalisierung am Rande des politischen Spektrums.

Prof. Dr. Albrecht Ritschl,

Humboldt-Universität Berlin

Sehr geehrter Herr Ritschl,

da muss ich in den letzten 15 Jahren, seit ich Bundesbürger bin, etwas übersehen haben, nämlich den Marsch in den Zentralstaat, von dem Sie sprechen. Zu erleben waren vielmehr Behinderungen und Verzögerungen, gelegentlich auch Blockaden der Bundespolitik durch den Bundesrat zumal dann, wenn in ihm eine andere Mehrheit das Sagen hatte als im Bundestag. Zunehmend unklar wurde, wer für welche Entscheidung die Verantwortung hatte, allzu viel wurde hinter den verschlossenen Türen des Vermittlungsausschusses ausgehandelt. Motivation genug für eine Föderalismusreform! Klare Kompetenztrennungen zwischen Bund und Ländern sind also notwendig und im zweijährigen Verhandlungsprozess vereinbart. Entsprechende Vorschläge liegen nun vor, sie sind begrüßenswert und ein Fortschritt, auch wenn die Regelung der komplizierten Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf später verschoben wurde – das ist ein Manko, da stimme ich Ihnen zu.

Aber muss man wirklich das Kind mit dem Bade ausschütten. Der Bund soll künftig so gut wie nichts mehr zu sagen, zu fördern, zu finanzieren haben im Bereich der Bildung, des Hochschulbaus, der Forschung. Es ist sogar vorgesehen, die Kooperation zwischen Bund und Ländern zu verbieten „für Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder“, also der Schule und der Hochschule. Das ist eine international beispiellose Einschränkung der gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Ebenen! Nahezu alle deutschen Forschungsorganisationen und viele Bildungsverbände sind entschieden dagegen. Sogar der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung Vernor Munoz warnt vor bildungspolitischer Kleinstaaterei. Die Wirkungen nämlich eines solchen Kooperationsverbotes und der Verabschiedung von gemeinsamer Verantwortung sind vorhersehbar: Vergrößerung der Kluft zwischen finanzstarken und finanzschwächeren Ländern; Versteinerung des Rückstandes zum Beispiel der ostdeutschen Länder in Sachen Forschungsinfrastruktur (Es ist kein Zufall, dass beim „Elitenwettbewerb“ der Universitäten keine ostdeutsche Uni vorne gelandet ist.); Verabschiedung vom Erfolgsmodell des solidarischen Föderalismus zugunsten eines rabiaten Wettbewerbsföderalismus mit dem Effekt einer größeren Ungleichheit von Bildungschancen und Lebensbedingungen.

Die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ und die „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit“ waren aber bisher Verfassungsziele (Art 72 des Grundgesetzes), sie bleiben sinnvolle und notwendige Ziele. Gemeinsame Initiativen von Bund und Ländern zur Verbesserung des Bildungssystems und zur Förderung von Wissenschaft und Forschung müssen auch weiterhin möglich sein. Es geht um die Zukunftsfelder der gesellschaftlichen Entwicklung schlechthin, Kleinstaaterei wäre diesen Herausforderungen nicht angemessen. Sich aus Angst vor einem trojanischen Pferd einzumauern, das wäre zukunftsfeige!

Mit freundlichen Grüßen

— Dr. Wolfgang Thierse (SPD),

Vizepräsident des Deutschen Bundestags

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