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Meinung: Wie soll das Antidiskriminierungsgesetz funktionieren?

„Auch anders ist gleich“ vom 21. Januar 2005 Genial!

„Auch anders ist gleich“ vom 21. Januar 2005

Genial! Hartz IV wird bald vergessen sein, denn jetzt winkt schneller Reichtum für (fast) alle! Das wird so gehen:

Wir bewerben uns (möglichst oft) auf jede freie Stelle oder um irgendeine freie Wohnung. Die entsprechenden Schreiben setzen wir unter Zeugen auf und fügen jeweils ein: „Ich bin übrigens schwul“, alternativ auch: „Ich bin Katholik“ (bzw. Protestant, Atheist oder was auch immer).

Sollte es wider Erwarten zu einem Vorstellungsgespräch kommen, geben wir dort unsere Religion, unsere sexuellen Neigungen oder Weltanschauung nochmals unmissverständlich bekannt (bei Weltkonzernen dürfte hier „Globalisierungsgegner“ sehr wirkungsvoll sein!).

Wem hierzu der Mut fehlt, der wird vielleicht in seinem Stammbaum irgendwo einen polnischen, französischen oder zumindest wendisch klingenden Familiennamen finden, der sich bestens für „Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft“ eignet.

Für Frauen empfiehlt sich besonders eine Bewerbung als Bergmann (-frau?), Abrisshelfer oder Türsteher, für Vorruheständler eine Bewerbung als Tänzer oder Fotomodell.

Mit dem Absageschreiben in der Hand ist dann – Dank der Beweislastumkehr – die Schadenersatzklage nur noch Formsache. Wenn die Gerichte bei Stellenausschreibungen etwa, wie bei Kündigungen, ein bis drei Monatsgehälter als angemessene Entschädigung für die Diskriminierung ansehen, wird so jeder Bedürftige (und auch andere) mit ein wenig häuslicher Schreibarbeit ein gutes Auskommen finden.

Die Kaufkraft der Bevölkerung wächst enorm, und der florierende Handel bringt uns endlich den Aufschwung. Danke, Rot-Grün!

Rolf Knitter, Berlin-Zehlendorf

Sehr geehrter Herr Knitter,

seit 25 Jahren gibt es im deutschen Recht den Paragrafen 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Er verbietet Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in der Arbeitswelt – bei der Einstellung, beim beruflichen Aufstieg, bei den Arbeitsbedingungen. Die juristische Datenbank juris weist bislang 119 Einträge zur Rechtsprechung aus. Genauso wenig wie dieser Paragraf eine Prozessflut ausgelöst hat, wird es das kommende Antidiskriminierungsgesetz tun. Wir machen nämlich im Arbeitsrecht nichts anderes, als in das bestehende Recht nun auch Fälle von Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Alters, der sexuellen Identität, der Religion oder Weltanschauung oder aufgrund einer Behinderung einzubeziehen. Wir setzen damit Richtlinien der Europäischen Union um, und wir tun das gerne, denn auch die Werteordnung unseres Grundgesetzes erteilt Diskriminierung eine klare Absage.

Antidiskriminierungsgesetze funktionieren nicht dadurch, dass es viele Prozesse gibt. Sie wirken präventiv, weil sie ein Leitbild für einen respektvollen Umgang miteinander liefern. Aber natürlich wird und soll es einzelne Musterverfahren geben, die deutlich machen: Unsere Rechtsordnung missbilligt es, wenn Menschen wegen bestimmter Persönlichkeitsmerkmale ausgegrenzt und herabgewürdigt werden. So ist es in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und vielen anderen Nachbarländern geschehen, die seit vielen Jahren Antidiskriminierungsgesetze haben. So wird es auch bei uns laufen.

Noch ein Missverständnis gilt es auszuräumen: Schutz vor Diskriminierung heißt nicht Bevorzugung. Selbstverständlich wird niemandem vorgeschrieben, eine bestimmte Person einzustellen oder ihr eine Wohnung zu vermieten, weil sie behindert, ausländischer Herkunft oder homosexuell ist. Weiterhin kann der Arbeitgeber Bewerber A auswählen, weil er ihn für qualifizierter hält als Bewerber B oder auch einfach nur deshalb, weil er ihn sympathischer findet. Es geht allein darum, dass niemand aufgrund eines bestimmten Persönlichkeitsmerkmals willkürlich ausgeschlossen wird.

Sie befürchten offenbar, dass mit dem Gesetz vielfach Missbrauch getrieben wird. Dagegen haben wir gut vorgesorgt. Denn auch die Mechanismen des Antidiskriminierungsgesetzes sind die gleichen, wie wir sie längst im Paragrafen 611 a BGB kennen.

Die bloße Behauptung einer Diskriminierung führt zu keiner Beweislastumkehr geschweige denn zum Erfolg der Klage. Es müssen dem Gericht schon Tatsachen glaubhaft gemacht werden. Auch Schadensersatz gibt es nur bei erwiesener Diskriminierung. Sehr geehrter Herr Knitter, der diskriminierungsfreie Zugang zum Arbeitsmarkt und zu öffentlich angebotenen Waren und Dienstleistungen ist in unserer Marktwirtschaft beileibe keine Kleinigkeit. Hier geht es um Teilhabegerechtigkeit. Genauso wie der Verbraucherschutz oder das Mietrecht zum Schutz der Schwächeren bestimmte Standards setzen, tun wir das auch mit dem Antidiskriminierungsgesetz. Das stärkt die Bürgerrechte und dient damit dem Gemeinwohl.

— Volker Beck ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne.

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