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Meinung: Wo bleibt die Gleichbehandlung?

Zu: „Einer für alle“ vom 25. Juni 2004 Seit Monaten wirbt die SPD für ihr Konzept des Umbaus der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer „Bürgerversicherung“.

Zu: „Einer für alle“ vom 25. Juni 2004

Seit Monaten wirbt die SPD für ihr Konzept des Umbaus der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer „Bürgerversicherung“. War das bislang noch ein recht nebulöser, aber selbstverständlich wieder einmal mit dem Etikett der sozialen Gerechtigkeit versehener Begriff, lässt man nun nach und nach die Katze aus dem Sack und erklärt der Öffentlichkeit, worum es in Wahrheit einzig und allein geht: Die Bezieher von Vermögenseinkünften, insbesondere solchen aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung, sollen höhere Krankenversicherungsbeiträge als bisher bezahlen. In dem man künftig auch diese Einkünfte neben dem Arbeitslohn oder der Rente bis zu einer noch festzulegenden Bemessungsgrenze beitragspflichtig macht, kann man den Beitragssatz für alle Versicherten für ein oder zwei Jahre stabil halten oder gar um 0,3 Prozentpunkte senken und das als reformerische Großtat bejubeln!

Hinsichtlich der Beiträge auf Vermögenseinkünfte schweigt man sich im Moment noch aus, aber man muss nicht Prophet sein, um zu wissen, was die Verfechter der Bürgerversicherung wollen: Der volle Beitragssatz von gegenwärtig durchschnittlich 14 v.H. muss es sein, sonst steigt das Beitragsaufkommen nicht in ausreichendem Maße. Bei den Betriebsrentnern kassiert man seit Anfang 2004 schließlich auch in voller Höhe. Wenn die Bürgerversicherung kommt, mutiert die Beitragsgestaltung in der Krankenversicherung zu einem für das Gesundheitswesen zweckgebundenen Solidaritätszuschlag II auf die Einkommensteuer; mit einer „Versicherung“, die sich dadurch auszeichnet, dass die Prämien nach dem Leistungsumfang, dem individuellen Risiko des Versicherten oder sonst einem angemessenen Maßstab bemessen werden, hat das rein gar nichts zu tun.

Unfassbar auch, dass die SPD grundsätzlich zwar die Einbeziehung der Selbstständigen und Beamten in das System der Bürgerversicherung anstrebt, aber wegen der zu erwartenden Widerstände der betreffenden Personenkreise und ihrer Interessenverbände und der faktischen Abschaffung der privaten Krankenversicherung heute schon von längeren Übergangsfristen für diese Gruppen spricht.

Wie soll das noch mit dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes vereinbar sein?

Christian Krüger, Berlin-Buckow

Sehr geehrter Herr Krüger,

ein Blick in den Beschluss des Parteitages der SPD vom November 2003 schafft Klarheit: Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich an der solidarischen Finanzierung der Gesundheitsversorgung beteiligen. Dabei sind alle Einkommensarten zu berücksichtigen. Darüber hinaus soll sich der Beitrag jedes Einzelnen nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit richten. Wer viel verdient, gesund oder jung ist, darf sich nicht der Solidarität in der Krankenversicherung entziehen. Die Belastung des Faktors Arbeit durch Beiträge muss begrenzt werden.

Die Einbeziehung von weiteren Einkommensarten neben Arbeitseinkommen und Rente ist kein Selbstzweck. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Der Anteil der Lohneinkommen an den Gesamteinkommen sinkt, der Anteil von Zinsen und Mieten steigt. Wer aber neben dem Lohn und der Rente noch Einkünfte hat, kann auch mehr zum Solidarsystem Krankenversicherung beitragen.

Auch die Einbeziehung aller Personengruppen in die Solidarität der Krankenversicherung ist gerecht und sinnvoll. Dass sich gut Verdienende und in jungen Jahren Gesündere dem solidarischen System entziehen können oder, wie Beamte, von diesem System faktisch ausgeschlossen werden, ist nicht einsichtig. Krankheit ist ein Lebensrisiko, das fast niemand alleine schultern kann. Solidarische Absicherung ist deshalb wichtig für alle. Positiv für alle: Wenn wir die Beitragslasten auf mehr und auf breitere Schultern verteilen, können die Beiträge sinken. Damit entlasten wir die Arbeitseinkommen und Renten, und wir entlasten die Arbeitskosten.

Dabei muss gelten, dass alle Einkommensarten, die zu Beiträgen zur Krankenversicherung herangezogen werden, auch gleich behandelt, das heißt mit dem gleichen Beitrag belegt werden. Sonst würde das Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgehebelt. Reduzierte oder gar halbierte Beiträge für bestimmte Einkommensarten wäre eine Bevorzugung, die zu Lasten der Erwerbseinkommen ginge und über einen höheren Beitragssatz mitfinanziert werden müsste. Außerdem würde der Beitragsentlastungseffekt nicht groß genug sein.

Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag entschieden, den Weg zu einer Bürgerversicherung zu beschreiten. Die Finanzierung der medizinisch notwendigen Leistungen soll für alle solidarisch gesichert werden. Wir arbeiten daran, unser Ziel mit aller Sorgfalt zu formulieren und die damit verbundenen Fragen zu klären. Es geht nicht nur um eine Instrumentendebatte, sondern darum, wie unser Sozialstaat in Zukunft aussehen soll.

— Andrea Nahles leitet die Projektgruppe Bürgerversicherung und gehört dem SPD-Präsidium an.

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