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Lesermeinung: „Der andere Geist von Potsdam“

Unkommentiertes Zeugnis im StadtarchivIn seinem gleichnamigen Buch drückt Günter Wirth die Hoffnung aus, dass Potsdam seinen „eigenen Platz finden“ wird, „einen authentischen, Identität stiftenden, nicht allein in der Absage an den alten ‚’Geist des Ortes’, sondern in der Kultivierung des anderen Geistes“. Er verweist darauf, dass es in unserer Stadt auch den anderen Geist von Potsdam, den der humanistischen Gesinnung und Toleranz, gab - nicht nur den unrühmlich bekannten, der sich mit dem preußisch-deutschen Militarismus verbindet.

Unkommentiertes Zeugnis im Stadtarchiv

In seinem gleichnamigen Buch drückt Günter Wirth die Hoffnung aus, dass Potsdam seinen „eigenen Platz finden“ wird, „einen authentischen, Identität stiftenden, nicht allein in der Absage an den alten ‚’Geist des Ortes’, sondern in der Kultivierung des anderen Geistes“. Er verweist darauf, dass es in unserer Stadt auch den anderen Geist von Potsdam, den der humanistischen Gesinnung und Toleranz, gab - nicht nur den unrühmlich bekannten, der sich mit dem preußisch-deutschen Militarismus verbindet. In seiner Spurensuche stößt der Autor sowohl auf die bewahrenswerten als auch auf die negativen Traditionen militärischer Natur, die so eng mit der Residenz- und Garnisonstadt Potsdam verknüpft sind. Dass es hierfür ein berechtigtes historisches Bedürfnis gab und weiterhin gibt, ist evident: Im Bürgerservice des Potsdamer Stadthauses wird in einer Vitrine des Stadtarchivs ein unkommentiertes Zeugnis preußisch-militaristischen Geistes zum Verkauf angeboten, das wahrlich nicht geeignet ist, zur Kultivierung des anderen Geistes von Potsdam beizutragen. Es ist dies ein Tagesbefehl Friedrich Wilhelms IV. vom 1. Januar 1849, der die Niederschlagung der bürgerlich-demokratischen Revolution durch die preußische Armee feiert. Der preußische König lobt hier sein „herrliches Kriegsheer für sein unvergleichliches Verhalten während des verhängnisvollen Jahres 1848“. Für ein regelrechtes Abschlachten Berliner Zivilisten im März 1848 und das blutige Niederschlagen von Demokraten in Frankfurt/Main durch preußische Truppen.

Was bewegte die Stadt, ausgerechnet dieses Dokument unseliger militaristischer Tradition, das die Unterdrückung des Fortschrittsstrebens deutscher Demokraten lobt, darzustellen, ohne auf zwingende historische Zusammenhänge zu verweisen? Bemerkenswert ist, dass sich in der Vitrine ein weiteres, historisch jedoch unverfängliches Dokument mit der Unterschrift und dem Dienstsiegel des Oberbürgermeisters Jann Jakobs befindet und die Frage aufwirft, ob hier eine „Schirmherrschaft“ des OB vorliegt. Das oben angeführte Dokument kann nicht ein offizielles Aushängeschild der Stadt sein, da es auch nach 1990 in Potsdam erhebliche Bemühungen gab, die militaristischen Traditionen zu tilgen und den anderen Geist dieser Stadt umfassender durchzusetzen. Auch durch Herrn Jakobs, der im Juli 2005 nachdrücklich auf die Leistungen zur „Aufarbeitung“ Potsdamer Geschichte verwies, die weiter verstärkt werden müssten. Auf meine wiederholten an den OB gerichteten kritischen Hinweise, dass und wie das Dokument dem Betrachter angeboten wird, schwerlich zu akzeptieren ist, hat Herr Jakobs leider nicht geantwortet. So lange es nicht in vernünftiger Form erläuternd begleitet wird, sehe ich keine Berechtigung, es weiterhin auszustellen. Dies entspräche nicht nur dem Vermächtnis zur Auseinandersetzung mit dem preußischen Militär, wie es uns beispielsweise von Historikern wie Wilhelm Blos (1891) oder von Friedrich Meinicke (1946) hinterlassen wurde – es erfüllt auch Erwartungen Potsdamer Persönlichkeiten, die das aus ähnlichen Erwägungen ausdrückten.

Prof. Dr. Dorgerloh, ein profunder Kenner preußischer Geschichte, hat im Juni 2005 im Magazin Cicero die Notwendigkeit betont, „Unterdrückung, Willkür“ und „militärische Gewalt“ in Preußen zu thematisieren. Das Fazit seines kritischen Beitrags: Eine Glorifizierung Preußens ist hinfällig. Ebenfalls zum souveränen Umgang mit dem Thema Preußen äußerte sich – ohne direkte Bezugnahme auf den preußischen Militarismus – im Juli 2005 im Cicero Ministerpräsident Platzeck: „Bei der Beschäftigung mit dem Preußen-Erbe sieht man sich stets in der Gefahr, dass ewig Gestrige auf den Zug aufspringen wollen. Das macht die Auseinandersetzung nicht leicht macht sie aber nicht unmöglich und gibt vor allem nicht das Recht, Verdrängung zu betreiben.“

Dr. F. Reinert, Potsdam

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