zum Hauptinhalt

Lobbyismus: Mehr Transparenz ist nötig

Die Bundesregierung findet nichts dabei, wenn täglich hunderte Lobbyisten durch die Türen der Ministerien gehen. Das beweist: Die Rechnung der Unternehmen und Verbände ist voll aufgegangen. Man regiert quasi heimlich am Kabinettstisch mit. Ein Kommentar.

Von Antje Sirleschtov

Natürlich steckt nicht in jedem Bayer-Mitarbeiter, der im Gesundheitsministerium hospitiert und dort an der Positivliste für Medikamente, die die Krankenkassen in Zukunft bezahlen, mitarbeitet, ein Spitzel mit unlauterem Auftrag seines Arbeitgebers. Und auch die Beamten von Finanzminister Peer Steinbrück wären oft ohne fachkundige Hilfe eines Mitarbeiters der Deutschen Bank nicht in der Lage, die komplizierten Gesetze und Verordnungen so praxistauglich abzufassen, wie es die Steuerzahler erwarten. Das ist nun mal so in einem modernen Land mit komplexen Gesetzen.

Allerdings: In dieser Bundesverwaltung gehen seit Jahren – wahrscheinlich Jahrzehnten – Lobbyisten mit Chipkarten wie selbstverständlich morgens um neun durch die Türen. Nicht einer, nicht zehn. Hunderte! Wer sie sind, wie viele sie sind und was sie dort den ganzen Tag tun, das weiß kein Mensch so genau.

Nur das steht fest: Die meisten dieser sogenannten „Externen“ sind an sensiblen Stellen der deutschen Gesetzgebung beschäftigt, ja sie entscheiden sogar mit über die Vergabe von Millionenaufträgen an die Industrie. Wobei sie für diese Arbeit nicht etwa vom Staat bezahlt werden.

Und was sagt die Bundesregierung zu alledem? Sie findet weiter nichts Anstößiges daran. Braucht es noch mehr, um zu beweisen, dass die Rechnung der deutschen Lobbymaschinerie voll aufgegangen ist: Man regiert quasi heimlich am Kabinettstisch mit, und die eigentliche Regierung merkt es noch nicht einmal.

Warum uns das alles zu interessieren hat? 2004 – also jetzt gerade erst – hat ein Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums bei Verhandlungen auf EU-Ebene dafür gesorgt, dass bestimmte Chemikalien, auch im Kinderspielzeug, nicht so ganz genau untersucht werden müssen. Der Mann war, wie man heute weiß, allerdings kein deutscher Beamter, sondern nur ausgeliehen. Er stand im Sold eines deutschen Chemiekonzerns.

Was hier systematisch berührt wird, ist die Grundlage des Parlamentarismus, ein Eckpfeiler der Demokratie. Wie können unabhängige Abgeordnete über einen Gesetzentwurf entscheiden, wenn sie sich nicht sicher sind, dass dieser erarbeitet wurde von unabhängigen Beamten? Und wie können Bürger auf ihre Gleichheit vor dem Gesetz vertrauen, wenn womöglich dieses Gesetz bereits von Einzelnen im eigenen Interesse verbogen wurde?

Nein, es geht nicht darum, die Wissensträger von Wissenschaft und Wirtschaft zu vertreiben. Ihr Fachwissen wird benötigt. Was jedoch her muss, ist Transparenz in der Sache – zumindest für die Abgeordneten des Bundestags. Sie sollten jederzeit erkennen können, welcher Lobbyist in einem Ministerium woran gearbeitet hat. Und zwar nicht nur, damit sie sich selbst sicher sind, ob sie einem Gesetzentwurf trauen können. Sondern vor allem, damit wir uns sicher sein können, dass wir ihnen trauen können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false