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Meinung: LOCKERUNGSÜBUNGEN ZUM WAHLKAMPF Die Kirche – allein zu Haus

Viele Leute finden Wahlkampf und überhaupt Politik langweilig. Weil alles so vorhersehbar ist.

Viele Leute finden Wahlkampf und überhaupt Politik langweilig. Weil alles so vorhersehbar ist. Katherina Reiche etwa, die ledige Mutter und familienpolitische Sprecherin – wenn sie sich nicht allzu dumm anstellt, wird sie große Karriere machen, zumindest ist sie schon jetzt Nachfolgerin von Manfred Rommel als liberale Superheldin der CDU. Rommel war Oberbürgermeister in Stuttgart und hat gegen den rechten CDU-Flügel durchgesetzt, dass tote Terroristen in Stuttgart beerdigt werden dürfen. Und Reiche ist quasi gegen den Widerstand von Kardinal Meisner schwanger geworden. Sie hat sämtliche Trümpfe – jung, weiblich, gut aussehend, im Grunde stockkonservativ, aber trotzdem eine Tabubrecherin. Außerdem kann sie tanzen, besser jedenfalls als Oskar Lafontaine.

Als Reiche ins Gespräch kam für das CDU-Kompetenzteam und sich Widerstand rührte, war im Grunde alles gelaufen. Wenn man sie auf Wunsch des erzkatholischen Parteiflügels gekippt hätte, stünde die CDU als Wagenburg der Ewiggestrigen da und könnte die ostdeutschen Wähler vergessen. Und wenn Reiche unter Druck geheiratet hätte, dann wäre sie eine charakterlose Karrieristin. Wenn ein Politiker etwas tut, nur, weil es Vorteile bringt – nein, das will man nicht haben. Es ist von Vorteil, so zu tun, als ob einem der eigene Vorteil schnurzegal wäre. Der Wähler will belogen werden. Zur Strafe hat ihm Gott Jürgen Möllemann gesandt. Jetzt sagen viele: Schon wieder die katholische Kirche, wie sie Intrigen spinnt und intolerant ist. Aber wer soll für alte Werte kämpfen, wenn nicht die katholische Kirche? Sie muss nicht auch noch liberal werden oder Anwältin des Wandels wie fast jeder andere. Die Vorstellung, der nächste Papst könnte im Designeranzug in Talkshows den toleranten Weltmann geben oder sich in Techno-Gottesdiensten einen Joint anzünden, um bei der Jugend anzukommen, muss jeder denkende Mensch ausgesprochen unangenehm finden. Es ist gut, wenn wenigstens eine Institution sich nicht in die Widersprüche des Alltags verstrickt und nicht auf peinliche Weise zu tanzen anfängt wie Lafontaine.

Die katholische Kirche hat keine nennenswerte Macht mehr. Nicht mal der CSU-Vorsitzende hört auf sie. Die Kirche ist auf den frühchristlichen Status zurück geworfen, ohne funktionierenden politischen Arm. Sie kann nur überzeugen. Warum stellt sie sich nicht darauf ein? Kardinal Meisner sagt, Reiche sei „nicht hinnehmbar", ganz im Ton des autoritären Pater familias, dessen Wort Gesetz ist. Solange die CDU ihre Füße unter meinen Tisch streckt, wird getan, was ich sage! Aber die CDU ist zu Hause längst ausgezogen.

Die Kirche könnte der Mehrheit geduldig erklären, weswegen sie es wichtig findet, zu heiraten. Das würde Spott und Widerspruch hervorrufen, wäre aber respektabler als Machtworte oder Hinterzimmer-Gemauschel. Die Kirche ist wie Don Quijote, der ebenfalls einen aussichtslosen Kampf gegen den Zeitgeist kämpfte. Er ist komisch, aber auch tragisch und liebenswert. Auch Don Quijote ist eine Art Held und mindestens so glaubwürdig wie Katherina Reiche.

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