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Meinung: LOCKERUNGSÜBUNGEN ZUM WAHLKAMPF Wem der Wind weht

Von Harald Martenstein Hat es nicht letzte Woche in genau dieser Kolumne hier gestanden? Genau hier?

Von Harald Martenstein

Hat es nicht letzte Woche in genau dieser Kolumne hier gestanden? Genau hier? Es kann jederzeit alles Mögliche passieren. Die Wahl ist längst nicht entschieden. Alles ist offen. Und so weiter, und so fort. Kaum aber hatte der Autor erschöpft seine Feder sinken lassen und war, überwältigt von der Tiefe und Klarsichtigkeit seiner Analyse, über dem Tintenfass zusammengebrochen, da begann es draußen zu regnen.

Ich gucke hin und wieder in meinem heimischen Elektronengehirn in die Wahlumfrage von AOL. Die AOL-User (tut mir wirklich leid, aber so reden die Menschen da draußen wirklich), sind in der Regel mittel- bis gutverdienende Leute unter sechzig und über dreißig. Denn die Alten haben – bis auf Sie natürlich, die Sie diese Zeilen jetzt lesen – mit dem Internet ihre Probleme, die Jungen aber sind so fit, dass ihnen AOL zu simpel und zu teuer ist. Also, ich denke, der AOL-Kundenstamm bildet ziemlich genau das Herz der Gesellschaft ab, die leistungsfähige Pumpe, uns, die infarktgefährdeten, Fitness-gestählten, Einzelkind-erziehenden, „Spiegel“-lesenden Leistungsträger, quasi die Blüte Deutschlands.

Und? Seit es regnet, steigen bei AOL die Aktien der Grünen. Sie lagen bei fünf Prozent, jetzt liegen sie bei elf. Die CDU dagegen schrumpelt zusammen wie, wie…pfui Teufel, jetzt ist mir ein sehr unanständiger Vergleich eingefallen. Bei AOL gibt es – ich glaube, zum ersten Mal – eine schmatzend satte rot-grüne Mehrheit. Wenn jetzt aber noch Östrogene im Bier entdeckt werden, ein Schwarm katzengroßer Heuschrecken in Barmbeck einfällt und wenn es sieben Tage lang Grillasche und Nacktschneckenkot regnet, dann werden die Grünen 18 Prozent bekommen und Schröder steht an den Pforten der Zweidrittelmehrheit wie weiland Attila an den Pforten Europas.

Die Grünen und die gute alte Umweltpolitik – man denkt, die sind perdu, aber nein, noch dingsen sie. Was lehrt uns das? Dass die Leute blöd sind. Ehrlich, wir sind blöd. Wir haben die Hirne von Hühnern, das Abstraktionsvermögen eines Kartoffelkäfers und ein Gedächtnis wie ein CDU-Politiker vor dem Spendenskandal-Untersuchungsausschuss. Das mit der Klimaveränderung wusste man doch! Hat doch tausendmal in der Zeitung gestanden! Aber nein, man muss es erleben, sonst glaubt man es nicht. Und schon in 14 Tagen hat man es garantiert wieder vergessen. Oder erinnern Sie sich noch an die Bonusmeilen-Affäre?

Jetzt heißt es in verschiedenen Kommentaren, man dürfe aus der Flutkatastrophe kein Wahlkampfthema machen, aus Pietät. Na, das ist ja eine Logik. Das ist, als ob über Deutschland 40 Flugzeuge zusammenstoßen, und es dann heißt: Aus Mitgefühl darf es keine politische Debatte über den Zustand der deutschen Flugsicherheit geben.

Aber, Achtung! Jetzt kommt eine waschechte Prophezeiung. Jesaia spricht. Die Wahl wird so entschieden: zwei oder drei Wochen vor dem 22. September kommen „Focus“ oder „Spiegel“ oder „Bild“ mit einem Skandal biblischen Ausmaßes, der entscheidet dann mit Feuer und Schwert. Wahrscheinlich ist der Skandal frei erfunden. Das macht aber nichts, denn wir sind sowieso blöd, und eine Woche nach der Wahl haben wir wieder vergessen, warum wir jetzt gerade diese Regierung haben und keine andere.

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