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Meinung: Löschen ohne Schläuche

Der neue Grippe-Alarmplan funktioniert nicht

Alexander S. Kekulé Stellen Sie sich vor, es brennt und Sie drücken den Feueralarm. Darauf fragt Sie eine Stimme aus dem Feuermelder: „Wen soll ich anrufen?“ Sie antworten: „Die Feuerwehr, aber schnell!“ Doch der Alarmmelder weiß immer noch nicht, was er tun soll und fragt weiter: „Welche Feuerwache ist zuständig?“, „Wo stehen die Fahrzeuge?“, „Woher das Löschwasser nehmen?“, „Wo die Schläuche ausleihen?“, „Wer ist richtig ausgebildet?“, „Wer bezahlt das Ganze?“ Natürlich wäre das Haus längst abgebrannt, bevor alle Fragen beantwortet sind. – Genau dasselbe würde passieren, wenn morgen eine neue Supergrippe ausbräche.

Am vergangenen Dienstag veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium den „Nationalen InfluenzaPandemieplan“. Dieser soll festlegen, was im Falle einer weltweiten Grippewelle (Pandemie) mit einem neuen, gefährlichen Influenzavirus zu tun ist. Das Papier war längst überfällig. Bereits 1993 forderte eine internationale Konferenz in Berlin die Ausarbeitung nationaler Pandemiepläne, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab 1999 einen Musterplan für ihre Mitgliedstaaten heraus. Im Februar 2004 legte das Robert-Koch-Institut einen detaillierten Entwurf vor, dem eigentlich nur noch eine letzte Weihe fehlte: Die Abstimmung mit den Bundesländern. Daran jedoch ist das Projekt bislang gescheitert.

Gemäß Verfassung sind die Seuchenprävention und deren Finanzierung Ländersache, der Bund und das Robert-Koch-Institut können nur Empfehlungen aussprechen. Die Länder jedoch wollten sich, insbesondere bei den Kosten und der Abgabe von Kompetenzen, aufs nichts festlegen lassen. Veröffentlicht wurden deshalb zunächst nur die ersten beiden Teile des Planes. Darin sind allgemeine Empfehlungen und die Stellungnahme der Fachleute enthalten, deren Hauptforderungen bereits seit 2001 bekannt sind. Der entscheidende „Aktionsplan“, in dem die konkreten Maßnahmen im Falle einer Pandemie stehen, soll als Teil III veröffentlicht werden – zu einem späteren Zeitpunkt, sofern die Länder sich doch noch einigen können.

Deshalb sind die wichtigsten Punkte des WHO-Musterplanes von 1999 nach wie vor offen. Je nach Szenario würden bei einer Pandemie in Deutschland sechs bis 22 Millionen Menschen so krank, dass sie ärztlich behandelt werden müssen, davon 180 000 bis 600 000 stationär. In welche Krankenhäuser sollen sie gebracht werden? Wer übernimmt die Transporte? Wer kümmert sich um die Patienten, wenn das Klinikpersonal durch die Grippe ausfällt? – Alles Ländersache, bisher ungeklärt.

Die Impfstoffproduktion würde bei einer Pandemie mindestens drei bis sechs Monate dauern. Deshalb könnten zunächst nur „antiepidemische Maßnahmen“, Quarantäne und universelle Grippemittel vom Typ der Neuraminidasehemmer (wie „Tamiflu“) helfen. Doch was soll genau geschehen? Schulen und Betriebe schließen, Kaufhäuser und U-Bahnen dichtmachen? Bisher ist nicht einmal geklärt, ob die notwendigen Maßnahmen überall durch Landesrecht gedeckt sind. Die seit Jahren erhobene Forderung der Fachleute, die lebensrettenden Neuraminidasehemmer auf Vorrat einzukaufen, scheitert nach wie vor an der Finanzierung. Aus demselben Grund gibt es immer noch keine Verträge mit den Herstellern, die Deutschland im Fall der Fälle eine Ration des neuen Impfstoffs sichern, sobald er verfügbar ist. Dies wäre aber unbedingt nötig, um zumindest die medizinische Versorgung und staatliche Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Wer zu den „priorisierten Gruppen“ gehört, die zuerst geimpft werden, müssen ebenfalls die Länder erst noch festlegen.

Grippepandemien haben mit Tsunamis drei Dinge gemeinsam: Erstens kommen sie mit absoluter Sicherheit, auch wenn niemand den Zeitpunkt genau vorhersagen kann. Zweitens kann man sich wirksam darauf vorbereiten. Drittens machen Grippewellen, genauso wie Wasserwellen, vor Landesgrenzen nicht halt – im Zeitalter globaler Seuchen ist föderale Kleinstaaterei lebensgefährlich.

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