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Meinung: Macht braucht Botschaft Europa darf seine Wurzeln nicht verschütten

Das hat uns gerade noch gefehlt. Nachdem sich das von Francis Fukuyama vorhergesagte Ende der Geschichte nicht einstellen will und weder der Islam noch Russland oder China in einem geschichtslosen Liberalismus zu verschwinden gedenken, wird ein Schuldiger für diese Entwicklung gesucht.

Das hat uns gerade noch gefehlt. Nachdem sich das von Francis Fukuyama vorhergesagte Ende der Geschichte nicht einstellen will und weder der Islam noch Russland oder China in einem geschichtslosen Liberalismus zu verschwinden gedenken, wird ein Schuldiger für diese Entwicklung gesucht. Und der falsche Prophet glaubt ihn in Europa gefunden zu haben.

Denn, so Fukuyama, weil Europa noch immer an seinen historischen Erinnerungen festhält und seine nationalen Identitäten nicht aufgeben will, schließt es die jungen muslimischen Einwanderer aus der Mitte seiner Gesellschaften aus. Und diese reagieren mit Abgrenzung und Hass, indem sie gekaperte Flugzeuge in lebende Bomben umfunktionieren, mit Selbstmordattentaten U-Bahn- Züge in die Luft sprengen oder Vorstädte in Brand setzen. Weil die Europäer den Melting Pot Amerikas für sich ablehnen, verbauen sie sich den Weg, die herbeiströmenden Einwanderer in ihre Gesellschaften zu integrieren.

Nun ist es bestimmt richtig, dass der grüne Traum einer multikulturellen Gesellschaft angesichts eines fundamentalistisch- kämpferischen Islam ausgeträumt scheint, doch Fukuyamas Schlussfolgerung, die eigene Identität aufzugeben, um der fremden die Chance zur Integration zu geben, riecht nach Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Ein Europa des Schmelztiegels wäre nicht mehr das alte Europa und damit auch bar jener Kraft, die Polen, Ungarn und Tschechen zu nationalen Siegern gegenüber sowjetisch-kommunistischer Dominanz machten. Wenn die Europäer im Wettbewerb mit den neuen Weltmächten USA, China und Indien bestehen wollen, dann dürfen sie ihre historischen und kulturellen Wurzeln nicht verschütten oder gar ausreißen, sondern müssen aus eben diesen Wurzeln Kraft ziehen, wie die Osteuropäer in den Wendejahren.

Im Frankfurter Städel ist zurzeit eine Ausstellung zu besichtigen, die den Wechselwirkungen ägyptischer, griechischer und römischer Kunst nachspürt und einen Anschauungsunterricht dafür liefert, was an kultureller Prägekraft notwendig ist, um eine Weltmacht in ein Weltreich zu verwandeln. Der politischen Herrschaft muss eine Ausstrahlung des Geistes entsprechen, die der Welt und den psychologisch Besiegten etwas bietet durch ihre ordnende Kraft, ihren Glauben, ihre Kunst, ihren Stil.

Das aber ist das Dilemma der amerikanischen Dominanz: Die USA zeigen wirksame, schneidende Macht ohne jede frohe Botschaft. Amerikas Macht im Nahen Osten wie in anderen Teilen der Welt mit Ausnahme Europas ist bis heute nur eine materielle, aber keine geistige. Solange Amerikas Botschaft, anders als die der französischen Revolution im Europa von 1800, so wenig Anziehungskraft auf fremde Kulturen entfaltet, besteht kein Grund, Europas nationale Identitäten aufzugeben. Man würde für eine vage Hoffnung auf eine noch immer kraftvolle Realität verzichten. Noch gewähren das napoleonisch-revolutionäre Erbe und die Madonna von Tschenstochau einen besseren Schutz als die Abstraktion der Vereinigten Staaten von Europa. Man kann nicht nur über das Wie der Integration einer fremden Kultur nachdenken, angesichts der Renaissance des Islam muss man auch das Ob-Überhaupt der Integration (und deren Umfang) neu diskutieren.

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