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Meinung: Macht macht bequem

Von Malte Lehming

Es ist eine Mär, die durch Wiederholung nicht plausibler wird: Deutschland scheut Reformen, das Wahlergebnis vom 18. September 2005 war antiliberal und proverteilungsgerecht. Nicht ganz passen in diese These wollen mindestens zwei Gegenargumente. Erstens: Die Partei, die am meisten von den reformerischen Zaudereien der großen Koalition profitiert, ist die FDP. Konstant liegen deren Umfragewerte bei etwa 15 Prozent. Zweitens: Eine Mehrheit der gewählten Volksvertreter im Parlament ist reformfreudiger als die Regierung – grob geschätzt drei Viertel der Union, ein Drittel der SPD, zwei Drittel der Grünen, neun Zehntel der FDP. Die Kräfte der Beharrung sind laut, aber numerisch in der Minderheit.

Dennoch wird die Mär von der Reformscheu und der sozialen Kälte der CDU so hartnäckig verbreitet, dass ihr selbst Unionisten erliegen. Einer wie NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zum Beispiel will deshalb mit aller Kraft sozialdemokratischer sein als die SPD. Nun schlägt – wen wundert’s? – das Pendel in die andere Richtung aus. Immer mehr CDUler warnen vor einem Linksruck ihrer Partei, fordern sie auf, ihr konservatives Profil zu schärfen. Auch der Bundespräsident, wird kolportiert, sieht den erlahmenden Reformehrgeiz in der Union und die Gerechtigkeitsdebatte mit großer Sorge.

In einer Woche veranstaltet die CDU ihren Bundesparteitag in Dresden. Bis dahin dürfte die Richtungsdebatte eher noch schärfer werden. Die Grundfrage ist einfach: Will die Partei wieder zum Anwalt eines wertkonservativen Bürgertums werden, das ernst nimmt, was Angela Merkel – mit Blick auf Haushalt, Demographie, Bildung, Steuerlast – vor drei Jahren im Berliner Zeughaus sagte: Wir leben von der Substanz? Oder hat sie es sich, nach einem Jahr, bereits endgültig bequem gemacht an der Macht? Rüttgers jedenfalls rennt in die falsche Richtung.

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