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Meinung: Matratzen in Habachtstellung

Pascale Hugues, Le Point

Von morgens bis abends dreht sich in Berlin alles um den Schlaf – jedenfalls könnte man auf den Gedanken kommen, wenn man die Matratzengeschäfte zusammenzählt, die in der Hauptstadt wie die herbstlichen Pfifferlinge aus dem Boden schießen. Sie beleidigen das Auge, diese in kaltes Neonlicht getauchten Schaufenster, sie verunstalten die schönsten Jugendstilfassaden und entweihen historische Plätze. Was sieht man vom Schöneberger Rathausbalkon aus, auf dem Kennedy sich zum Sohn der Stadt erklärte? Bataillone von Matratzen, in stummer Habachtstellung erstarrt.

Leicht ist es, sich von üppigen Wonnefantasien davontragen zu lassen, denkt man an Matratzen und an die Träumereien, die sie des Nachts erregen: Matratzen, bedeckt mit Seide und edelsteinbesetzter Spitze … Ein orientalisches Paradies, eine laszive Stadt unter dem Sternenhimmel. Berlin, Hauptstadt des Hedonismus. „Unter schönen Bettlaken verbirgt sich eine schmutzige Matratze“, weiß ein kreolisches Sprichwort. Denn der Schein trügt. In Berlin heißt Tausendundeine Nacht: Latex, Federkern, Kaltschaum, Taschenfederkern, Federung, Punktelastizität. Unter seinen Matratzen versteckt Berlin keinen mit Golddukaten gefüllten Wollstrumpf, sondern seine Milliarden Schulden. In Berlin erzählt Scheherazade ihrem Kalifen Nacht für Nacht grausame Geschichten von Ischias und Schweißausbrüchen, von Schlaflosigkeit und Allergien. Scheherazade stammt aus dem Schwarzwald. Auf ihren breiten Schultern sitzt ein wasserstoffblonder Kopf. Sie verkauft Matratzen in Berlin. Das ist ihre Mission. Denn beim Matratzenverkauf, so sagt sie, ist man für die Gesundheit verantwortlich. „Es könnte dem Rücken schaden, wenn wir etwas falsch machen! Wir bewegen uns auf dünnem Eis! Man kauft eine Matratze nicht wie die Katze aus dem Sack, sag ich jetzt mal so!“ Einst war der Kauf einer Matratze eine Anschaffung fürs Leben. Man kaufte die Matratze vor der Hochzeit, die Kinder wurden darauf geboren, die Jahre vergingen, und eines Morgens starb man mit offenem Mund in der Kuhle eben dieses Bettes. An der Matratze ging das Alter nicht spurlos vorüber: die Wölbungen des Körpers, Verwerfungen, Schluchten, Flecken. Myriaden von Milben und anderen fleischfressenden Insekten hatten in den Tiefen der Wolle unterirdische Tunnelsysteme geschaffen.

Früher waren die Matratzen eine einzige Berg- und Tallandschaft. Heute sind sie platt wie eine Autobahn. Sie sind leblos und haben keine Geschichte. Sie heißen Toskana Forte, Quadromed H4 oder Vitalis Dream. Heute wechselt man sie wie den Ehemann: alle sieben Jahre. Der Matratzenkauf kann leicht zum Albtraum werden. Eine transzendentale Erfahrung. „Es geht nicht nur darum, eine Matratze zu kaufen. Haben Sie sich schon mit Energieströmen beschäftigt?“, fragt Scheherazade. Sie weiß, dass die Seele eines Verstorbenen noch drei Tage unter uns weilt, nachdem sein Körper die Matratze schon verlassen hat.

Nein, Scheherazade spinnt nicht. Versuchen Sie doch mal eine Antwort auf eine scheinbar leichte Frage: Was ist ein Bett? Einfach nur die Verbindung von Bettrahmen und Matratze? Matratze und Schläfer bilden ein unzertrennliches Paar, das harmonisch zusammenleben muss. „Der Körper soll nicht gegen die Matratze kämpfen, sondern die Matratze muss sich dem Körper anpassen“, sagt Scheherazade. Eines der schönsten französischen Liebeslieder erzählt von einem kleinen Schuster, bettelarm, aber voll Charme: Er erobert das Herz der schönen Prinzessin, indem er die Matratze beschreibt, auf der sie nach der Hochzeit liegen werden: „In der Mitte des Bettes ist der Fluss so tief. Alle Pferde des Königs könnten zugleich hier trinken. Und wir würden hier glücklich schlafen bis ans Ende aller Tage.“ Statt für einen Königssohn oder einen tapferen Krieger entscheidet die Schöne sich für die magischen Kräfte der Matratze, wie der arme Schuster sie beschwört.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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