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Merkel in Indien: Das bessere China

Hohe Wachstumsraten, demokratische Strukturen: Angela Merkel besucht derzeit Indien, das in vielem wie das bessere China wirkt. Neben allen wirtschaftlichen Verheißungen spielt das Land auch politisch in der oberen Klasse - eine Erkenntnis, mit der man in Deutschland etwas spät dran ist.

Vier Tage nimmt sich Angela Merkel Zeit. Der Staatsbesuch in Indien ist selbst im reiseintensiven Jahr als G-8-Chefin einer ihrer längeren. Schon das lässt ahnen, wie wichtig der Staat mit seinen 1,1 Milliarden Menschen für Deutschland geworden ist. Ein Schmelztiegel mit Millionen armer Menschen, aber auch mit einem rasanten Wirtschaftswachstum von beneidenswerten neun Prozent. Seit mehreren Jahren. Vor allem aber: Es ist die größte Demokratie der Erde. Ist Indien also das bessere China?

Einiges spricht dafür, dass Deutschland und Europa sich mit den indischen Werten leichter tun als mit der oft menschenverachtenden Politik in China. Sind es unsere Werte? In Indien verschwindet nicht so leicht jemand, der einem Projekt nicht weichen will. Aber es gibt auch in diesem Riesenreich großen Streit – akut zum Beispiel um die exzessive Ausweisung von Sonderwirtschaftszonen, Enteignungen für Industrieprojekte und die sogenannten Backhanders, korrupte Geschäftemacher. Immerhin: Dort wird er öffentlich ausgetragen. In diesen Tagen marschierten 25 000 Arme nach Delhi, um auf ihre jämmerliche Lage aufmerksam zu machen. Die Sicherheitskräfte wollten sie allerdings nicht zum Parlament lassen.

Wer mit Indien Geschäfte macht, weiß, dass es viel zu lernen gibt über unterschiedliche Gepflogenheiten, etwa über das Kastenwesen, das noch immer eine große Rolle spielt. Und es gibt einen enormen Drang, etwas zu bewegen. Viele Inder können mehrere Sprachen, und, ein unermesslicher Schatz: Fast alle sprechen Englisch. Nicht nur US-Unternehmen haben deshalb längst kostengünstig Callcenter nach Indien verlegt. Auch deutsche Firmen wissen zu schätzen, dass sie im Zweifel mit allen Mitarbeitern in der Weltsprache kommunizieren können und nicht den Umweg über eine schwierige Sprache wie das Chinesische gehen müssen. Doch es wird kein Entweder- oder zwischen China und Indien geben, sondern – endlich stärker – ein: auch Indien. Das Land, das in Deutschland jenseits von Computerspezialisten und bunter Folklore kaum wahrgenommen wird.

Für die deutsche Wirtschaft gibt es dort viel zu verdienen. Indien will in den kommenden fünf Jahren allein 360 Milliarden Euro in seine Infrastruktur investieren. Da dürften die mit der Kanzlerin reisenden Chefs von Siemens, Bahn, Lufthansa, Airbus und Co. innerlich freudig strahlen – sie wissen um die zahlreichen Stromausfälle, um das unzureichende Straßen- wie Schienennetz. Merkels Ziel ist, die Wirtschaftsbeziehungen nach vorn zu bringen. Derzeit liegt Indien auf Platz 29 des deutschen Außenhandels. Aber nicht nur die Deutschen wollen Geschäfte machen – auch die Inder gucken nach Deutschland. Schätzungsweise 240 indische Firmen haben hier Beteiligungen. Längst kommen nicht nur bunte Kleider von dort. Nach Hightech, IT, Pharma und Stahl dürfte ein weiterer Sektor hinzukommen: Dienstleistungen. Sie machen schon 55 Prozent des indischen Sozialprodukts aus. Es sollte niemanden wundern, wenn demnächst etwa die zum Tata-Konzern gehörende Taj-Hotelgruppe ihr Portfolio hierher erweitert. In der First-Class-Liga.

Bei allen wirtschaftlichen Verheißungen spielt Indien auch politisch in der oberen Klasse. Mit dieser Erkenntnis ist man in Deutschland fast ein bisschen spät dran, obwohl Merkel regelmäßigen Kontakt zu Premier Singh hält. Ein Land, das so unterschiedliche Kulturen und Religionen recht stabil beieinanderhält, ist mit Blick auf internationale Konflikte wichtig. Afghanistan ist nah, gute Beziehungen zum Land mit der zweitgrößten muslimischen Bevölkerung und dem Nachbarn Pakistan können nicht von Schaden sein. Mit weit offenen Ohren dürfte sich Merkel außerdem über den Nuklearvertrag mit den USA informieren, hat doch Indien den Sperrvertrag nicht unterzeichnet, und Singhs Partner lehnen eine Überwachung durch die Atombehörde IAEO ab.

Nicht zuletzt ist Indien für eines der zentralen Themen Merkels von herausragender Bedeutung: den Klimaschutz. Denn wenn es den Einstieg in ein neues internationales Abkommen geben soll, müssen auch die Schwellenländer Pflichten übernehmen. Indien könnte der Schlüssel dafür sein. Und wer vom anderen etwas will, muss ihn als Partner ernst nehmen.  

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