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Meinung: Militär mit Macht

Die Bundeswehr bekommt wieder einen Generalstab – und keiner protestiert

Von Robert Birnbaum

Wahlkampfzeiten gelten als Tage des politischen Stillstands. Nur noch Symbolik wird zelebriert, Entscheidungen sind vertagt auf später. Die Regel gilt, hat aber wie jede gute Regel Ausnahmen. Eine solche ist Peter Struck. Der Mann, der als Verteidigungsminister verlegenheits- und, egal wie die Wahl ausgeht, vermutlich nur übergangshalber eingesprungen ist, hat in den wenigen Tagen seiner Amtszeit einige bemerkenswerte Entscheidungen gefällt. Nicht nur, dass Struck zwei Pilotprojekte aus dem Kranz der Privatisierungsexperimente gestoppt hat, weil sich erwies, dass in beiden Fällen – Munitions- und Verbrauchsgüterversorgung – die Privatlösung teurer wäre als das, was die Bundeswehr bisher selbst leistet. Er hat auch ohne großen Aufhebens einen Kulturbruch vollzogen. Seit einigen Tagen hat die Bundeswehr einen Generalstab und einen Generalstabschef.

Beide Institutionen heißen nicht so – die eine nennt sich „Einsatzrat“, die andere immer noch Generalinspekteur. Aber das sind letzte Reverenzen an jenen „Blankeneser Erlass“, mit dem 1970 der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt die deutsche Militärführung gewissermaßen föderalistisch organisierte: Fürs Militärische waren seither gleichberechtigt die Inspekteure der Teilstreitkräfte zuständig, der Generalinspekteur hatte ihnen nicht dreinzureden, sondern war in erster Linie Chefberater der Politik. Dahinter steckte der Gedanke, die Bundeswehr bis in ihre Führungsstrukturen hinein als eine „zivilere“ Armee zu präsentieren als ihre historischen Vorgänger.

Diese Struktur war weltweit ohne Beispiel, aber lange Jahre hindurch nicht weiter hinderlich. Die Bundeswehr war eine Armee im Wartestand auf einen Ernstfall, mit dem im Ernst keiner zu rechnen wagte. Das hat sich gründlich geändert. Zwar erwies sich die alte Struktur als flexibel genug, um die Bundeswehr auch auf Auslandseinsätze zu schicken – die Organisation übernahm wesentlich das Heeresführungskommando in Koblenz. Aber das war eine Übergangslösung. Mit der Bundeswehr-Reform haben Rudolf Scharping und sein Generalinspekteur Kujat auch auf oberster Ebene die Konsequenz gezogen, die sich aus dem neuen Auftrag der Bundeswehr im Sinne einer Armee im Einsatz ergab. Struck setzt also nur um, was Scharping angelegt hat. Aber Struck setzt es eben um, und zwar – anders als es seinem hinlänglich zerbeulten Vorgänger möglich gewesen wäre – geräuschlos.

Diese Geräuschlosigkeit ist das eigentlich Bemerkenswerte. Denn im Kern bedeutet die Neuerung ja: Der oberste Militär ist künftig wirklich der oberste Militär, er führt jetzt die Bundeswehr in Einsätzen an.

Das Primat der Politik wird damit weniger sichtbar. Aufgehoben wird es nicht. Man könnte sogar sagen: Gerade weil das Primat der Politik an praktischem Gewicht gewonnen hat, muss es nicht mehr so stark symbolisch betont werden. Seit das Verfassungsgericht die Bundeswehr als Parlamentsheer definiert hat, ist sie die am stärksten an demokratische Entscheidungen gebundene Armee der Welt. Wer sie militärisch führt, wird da zum pragmatischen Detail.

Trotzdem steckt in der Beförderung des Generalinspekteurs ein Signal. Sie ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung der Bundeswehr, der Umwandlung des statischen Heimatschutzverbands in ein dynamisches Instrument von Außen- und Sicherheitspolitik. Vor Jahren wäre die Berufung eines faktischen Generalstabschefs noch Anlass für besorgte Debatten über eine Übermacht der Militärs gewesen. Die Gefahr liegt heute anderswo: Darin, dass die Politik die Armee irgendwann nur noch als Instrument betrachten könnte, einzusetzen im Äußeren wie im Inneren nach reiner Zweck-Nutzen-Kalkulation.

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