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Meinung: Mit Massagen und Johanniskraut durch den Advent

Von Pascale Hugues, Le Point

Eine schöne Adventszeit!“ wünschte mir heute Morgen eine Engelsstimme. Kaum war sie aus dem Äther des kleinen Küchenradios zu mir durchgedrungen, sah ich auch schon all die idyllischen Bilder vor mir, die uns die Fernsehwerbung seit Wochen serviert: rotwangige Kinder beim Strohsternebasteln, liebliche Großmütter beim Plätzchenbacken, friedvolle Kleinfamilien beim Musizieren. Doch die Stimme aus der Tiefe des Äthers verhärtete sich plötzlich und ließ den Kitsch meiner morgendlichen Träumerei in tausend Teile zerbröseln: „Kommen Sie zur Ruhe, und konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche!“

Nein, es war keine Meditationssendung, die ich zu dieser frühen Stunde hörte, es war eine kleine Adventsweisheit. Und es war auch nicht der erleuchtete Guru des Ashram von Poona, der diese Weisheit verkündete, sondern ein bodenständiger Sprecher von Radio Multikulti. Vor meinem geistigen Auge galoppierten sofort alle Verpflichtungen der kommenden Wochen an mir vorbei: Adventsgans, Adventspunsch, Adventstee, Adventsbasteln, Adventskarten, Adventsmarkt, Adventsschulfest, Adventskonzert, Adventsbasar, Adventsspenden …

Ich sah einen gigantischen Adventskalender vor mir, der hektisch mit tausend kleinen Fensterchen klapperte, und jedes einzelne drohte mich zu verschlingen. Ein Adventsalbtraum! Kein Wunder, dass in den Apotheken jetzt neben Eukalyptuspastillen gegen Nebenhöhlenentzündung auch Johanniskraut gegen Adventsstress verkauft wird. Und der Masseur in meinem Kiez bietet zu einem durchaus vernünftigen Preis ein Paket mit vier entspannenden Adventsmassagen an, die perfekte Selbstbeherrschung während dieser vierwöchigen Prüfung verheißen.

Dieses Jahr bekommen wir in Deutschland sogar ein kleines Extra-Adventsgift verpasst: Mit der neuen Mehrwertsteuer im Nacken macht sich der Kaufrausch gleich doppelt intensiv bemerkbar. Und dank der liberalisierten Öffnungszeiten kann man sich jetzt einen kompletten Samstag lang, zwölf Stunden ohne Unterbrechung, unter den wildgewordenen Mob am Ku’damm mischen und nach sinnlosem Schnickschnack suchen. Ich frage mich manchmal, wem es eigentlich Spaß macht, um vier Uhr morgens ein Buch bei Dussmann zu kaufen – einer Handvoll schlafloser Berliner oder Adventsverzweifelten auf der Suche nach dem Ratgeber „Die Weihnachtsfreude wieder finden“? Garantierter Seelenfrieden für nur 19,80 Euro! Bei mir löst die Beschleunigung der Vorweihnachtszeit inzwischen gefährliche Allergien aus: Bitte, bitte kein „Jingle Bells“ mehr, keine räudigen Nikoläuse unter Rolltreppen, keine eiffelturmgroßen Kiefern, keine herzförmigen Lebkuchen – und erst recht keinen einzigen Tropfen Glühwein mehr.

Wir haben die schwierige und subtile Kunst des Nichtstuns und Abwartens verlernt. Von religiöser Bedeutung will ich gar nicht sprechen. Der Advent ist eine Periode des Aussetzens, in der die Nacht schon um drei Uhr nachmittags beginnt, in der die Zeit sich verlangsamt und gefriert. Anstatt wie Verrückte durch die Stadt zu hetzen, würden wir vielleicht besser daran tun, die Fensterchen unseres Erwachsenenkalenders eines nach dem anderen zu schließen, uns mit unseren Kindern in eine große Decke einzuwickeln und jeden Tag eine Adventsgeschichte zu lesen. Die Geschichte, die bei uns zu Hause gelesen wird, handelt von der Seele eines Esels und der Seele eines Ochsen im Paradies der Tiere. Die zwei Seelen unternehmen eine Reise auf die Erde, um zu ergründen, wie die Menschen sich auf Weihnachten vorbereiten. Konfrontiert mit dem Chaos auf den Straßen, mit Menschen, die mit Paketen unter dem Arm und verzerrten Gesichtern umherrennen, wendet sich der Ochse voller Entsetzen an den Esel: „Höre, Eselchen, du hast mir gesagt, dass du mir Weihnachten zeigen willst. Du hast dich wohl geirrt. Ich sage dir, hier ist doch Krieg.“ Und das Eselchen antwortet : „Du bist ein Provinzler, lieber Ochse, du kommst aus dem Paradies. Die modernen Menschen verstehst du nicht.“

Es ist eine leicht pädagogische Geschichte, aber sie trifft den Punkt. Die Kinder lieben sie. Denn sie wissen genau, dass provinzielle Ochsen viel intelligenter sind als großstädtische Berliner.

Aus dem Französischen übersetzt von Jens Mühling.

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