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Meinung: Mit Putin kann man leben

Kalter Krieg? Die Russen sind doch keine Sowjets

Mag sein, dass der Ton etwas schroff war, aber stellen wir uns einmal den früheren US-Verteidigungsminister Rumsfeld vor, der gefragt wird, was er davon halte, dass Russland in Venezuela ein Abwehrsystem gegen China aufbaue. Ton und Inhalt seiner Einlassungen wären nicht weniger unfreundlich als die des russischen Präsidenten gewesen. Und ist es nicht wahr, dass Russland im Zuge der Wiedervereinigung versprochen wurde, keine Nato-Truppen östlich der Oder-Neiße-Linie zu stationieren? Inzwischen sind Russlands ehemalige Zwangsverbündete längst US-Alliierte, und den Russen wird mit treuem Augenaufschlag versichert, die auf polnischem und tschechischem Gebiet geplanten Abwehrwaffen seien gegen den Iran gerichtet.

Zu Recht haben die Amerikaner 1961 einen Weltkrieg riskiert, um die Sowjetunion aus ihrer Hemisphäre fernzuhalten – soll es Putin nicht gestattet sein, die Dinge wenigstens beim Namen zu nennen? Von Bismarck stammt die Einsicht, dass man die Russen nie wirklich besiegen könne: „Selbst der günstigste Ausgang eines Krieges würde niemals die Zersetzung der Hauptmacht Russlands zur Folge haben, welche auf den Millionen eigentlicher Russen griechischer Konfession beruht. Diese würden, auch wenn durch Verträge getrennt, immer ebenso schnell sich wieder zusammenfinden wie die Teile eines zerschnittenen Quecksilberkörpers.“

Gehört es wirklich zu den Lebensinteressen des Westens, die Krim auf ewig von Russland getrennt zu halten? Dass Russland den Status quo verändern möchte, ist so legitim oder illegitim wie einst die Nichtanerkennung des polnischen Korridors durch die lupenreinen Demokraten Rathenau und Stresemann. Gewiss, wir haben Breslau und Königsberg endgültig verloren, aber erst nach einem von uns begonnenen und mit furchtbaren Verbrechen belasteten Krieg. Der Zerfall der Sowjetunion war Ausdruck innerer Schwäche, nicht berechtigte und nachhaltige Verkleinerung eines militärisch Besiegten.

Es ist gut, wenn wir von Zeit zu Zeit daran erinnert werden, dass Russland nie ein klassischer Nationalstaat war, sondern immer Imperium, gebildet aus slawischen und nichtslawischen Völkern, zusammengehalten durch Orthodoxie und Zarentum. Weder die Ukraine noch Weißrussland haben bislang eine eigene historische Identität entwickeln können. Ob das künftig gelingt, bleibt abzuwarten. Bis dahin sollte der Westen seine Interessen nicht so definieren, dass sie Russlands historische Existenz wie sein Selbstwertgefühl als europäische Großmacht verletzen – und Deutschland als der Erbe Preußens sich daran erinnern, dass dieser Staat zweimal – 1763 und 1807 – von Russland gerettet wurde wie auch die deutsche Einheit weder 1866/70 noch 1990 gegen seinen Einspruch möglich gewesen wäre.

Zwar ist Dankbarkeit keine politische Kategorie, kann aber manchmal helfen, das eigene Interesse hinter ideologischen Nebeln zu erkennen. Putins Reich ist nicht das Russland der Zaren Alexander und Nikolaus, aber eben doch viel ähnlicher dem Staat, den Bismarck kannte, als der Sowjetunion, vor der wir uns gefürchtet haben.

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