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Meinung: Mitten in der Not

Von Stephan-Andreas Casdorff

Ja, man muss sich die Mühe machen zu lesen, was der Bundespräsident alles sagt. Ein Blick in sein Gesprächsbuch zum Amtsantritt, und jeder weiß: Was Horst Köhler gesagt hat zum Wollen und Werden der Republik, meint er ernst. Und auch, wie er es gesagt hat. Soll sich also keiner beklagen, zu mal keiner aus der Union. Köhler ist der Präsident von Hartz zehn und Agenda zwanzigzehn plus, um es mal so auszudrücken. Hier spricht ein Ökonom, und Ökonomisten aus der Seele.

Wäre er nicht Bundespräsident, sein Beitrag zur Debatte wäre kein Problem. Von Roman Herzog, der manchmal auch sehr burschikos formulierte, stammt aber als Verfassungsexperte außerdem das Wort, dass der Präsident die Integrationsagentur des Volkes sei. Das bedeutet nicht, dass er immer Schalmeientöne produzieren soll; aber es heißt auch, dass der Präsident nicht ohne Not Teile des Volkes vor den Kopf stoßen darf. Wie jetzt geschehen: Als ob es in Ostdeutschland nicht genug Unruhe gäbe. Abertausenden Menschen ist angst und bange, weil es keine Jobs gibt, 20, 30 Prozent Arbeitslosigkeit, dazu Städte, die aussterben. In diese Stimmung hinein sagt der Präsident nun übersetzt zweierlei: Erstens, so ist das halt, zweitens, zieht dahin, wo es Arbeit gibt.

Da wird einem nicht nur kalt, es hat auch wenig mit Politik zu tun. Die Angleichung der Lebensverhältnisse war immer das Ziel derer, denen parlamentarisch Macht gegeben ist. Das ist nicht nur ein Gründungsmythos der neuen Republik, es ist ein verbriefter Anspruch, den bisher alle – alle – als Auftrag angenommen haben. Wer ihn aufgibt, der spaltet von neuem. Noch dazu ist das Wandern in den Westen auch nicht eben erfolgversprechend. Der hat selber Probleme und wachsende Arbeitslosigkeit in einem Maß, dass NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück schon Sondergebiete wie im Osten ausgewiesen haben will. Im Westen, der dem Osten brüderlich, mit Herz und Hand, helfen soll.

Der Bundespräsident darf warnen, mahnen – aber er soll auch ermuntern. Sagt Köhler. Der Präsident darf auf Fehlentwicklungen aus seiner Sicht aufmerksam machen – aber er soll keinen Streit auslösen (wollen). Es kommt auf die Balance an. Er ist nicht der Kanzler, seine Aufgabe nicht das Regieren, sondern das Integrieren, das Zusammenführen und Zur-Sprache-bringen. Politik ist mehr als Ökonomie, sagt Köhler. Hält er sich daran, ist seine Rendite Vertrauen. Wenn nicht, dann verliert das Amt.

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