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Mon Berlin: Comeback der Eisenzähne

Pascale Hugues, Le Point, über erwachsene Spangenträger.

Mütter in Minirock und rosa Sweatshirt, Zwillingsschwestern ihrer Töchter auf dem Schulweg. Väter weit jenseits der 50 in den gleichen ausgefransten Jeans wie ihre Söhne im Gymnasium: Der generationenüberschreitende Partnerlook ist in Mode. Nicht leicht, den Vater vom Sohn, die Mutter von der Tochter zu unterscheiden. Mit ihren Baseballmützen, Lederhosen und wippenden Pferdeschwänzen bevölkern pubertierende Erwachsene die Straßen von Berlin.

Nun jedoch scheint diese regressive Nachahmung ein beunruhigendes neues Stadium erreicht zu haben. Bis vor einiger Zeit war die Zahnspange ein Übergangsritus der Adoleszenz, vergleichbar der Jugendakne und dem ersten Rockkonzert … Man war stolz darauf. Schließlich wollte man nicht sein ganzes Leben ein Hamsterprofil behalten! Und man war bereit, die erheblichen logistischen Probleme auf sich zu nehmen: Wie kann es zum ersten Kuss kommen, wenn man diese Konstruktion aus Stahldraht im Mund hat? Wenn zwei verliebte Spangenträger sich küssen, verhaken sie sich dann nicht ineinander? Wie soll man Karamellbonbons essen? Kaugummi kauen? Querflöte spielen? Oder auch nur lächeln, ohne auszusehen wie eine Egge mit ihren Eisenzähnen?

Alles nicht so wichtig. Eine Zahnspange tragen bedeutete, dass man die Schwelle zum Erwachsenenalter überschritt. Jeder wollte so etwas. Als Kind bastelte ich mir einen furchterregenden Apparat: ein Draht, den ich mit zwei Kaugummis an die Backenzähne klebte. Die Mädchen in meiner Klasse spielten am liebsten „Zahnspange“. Und wir waren sehr wütend auf den Zahnarzt, als der befand, dass wir gar keine brauchten.

Doch welcher Erwachsene im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte lässt sich freiwillig dieses Folterinstrument in den Mund zwängen, mit seinen Gummibändern, seinen Stahlplättchen, die einem den Gaumen aufschneiden, seinen Schrauben und Rädchen? Wer hat schon Lust, mit halbgeöffnetem Mund zu schlafen und ins Kopfkissen zu sabbern? Unverständliche Sätze zu lispeln? Mit einer Stimme wie eine Comicfigur? Wer möchte allmorgendlich seine Prothese mit einer Kukidenttablette in ein Glas versenken wie die alten Leute im Seniorenheim?

Betrachtet man die Münder voll Metall und Keramik, die bei Berlinern der Generation 40 plus zu sehen sind, so könnte man auf den Gedanken kommen, dass es sich dabei um ein hochmodernes Accessoire für Erwachsene handelt. Piercing, Lifting, Botox, Fettabsaugen und Wonderbra genügen nicht mehr für die Illusion der Vollkommenheit … Berlin träumt von einem Lächeln à la Hollywood, von einer Reihe Zähne so ebenmäßig wie die Tasten eines nagelneuen Steinway. Schöne Zähne sind zum Prestigeobjekt geworden, zum Symbol für sozialen Aufstieg und ein erfolgreiches Leben. Man kann sich sogar Zahnspangen aus Golddoublé gönnen. Zahnspangen are a girl’s best friend!

Jeder hat das Recht, die Fehlbauten der Natur nachzubessern. Die Zeiten sind vorbei, als ganz Frankreich sich darüber aufregte, dass François Mitterrand, frischgebackener Präsident der Republik, sich seine spitzen Schneidezähne hatte abschleifen lassen. Seine Medienberater hatten ihn gewarnt: Die präsidialen Schneidezähne verliehen dem Mann an der Spitze Frankreichs das Aussehen von Dracula – für die Steuerzahler ein ziemlich beunruhigender Anblick. Eitelkeit! Betrug! Frankreich war entrüstet.

Die Zeiten haben sich gründlich geändert. Berlusconi hat sich liften lassen wie eine gealterte Operndiva, Sarkozy trägt diskrete Keilabsätze, und wir verzichten darauf, den Namen eines berühmten deutschen Politikers zu nennen, der auch mit 63 Jahren noch immer ebenholzschwarzes Haar trägt. Milchzähne und Glatze, goldene Zahnspangen und Hitzewallungen … wo wird dieser große Cocktail aus Lebensaltern noch enden.

Aus dem Französischen von Elisabeth Thielicke.

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