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Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues liest und diskutiert im Tagesspiegel-Salon.

© Thilo Rückeis

Mon Berlin: Ein zweisilbiges Chamäleon

Ein Ausdruck, zwei Worte, sehr viele Bedeutungen: Pascale Hugues über "Na ja".

Na ja ist eine multitaskingfähige Interjektion. Wie ein Chamäleon, das seine Farbe ändert, um mit seiner Umgebung zu verschmelzen, ändert „Na ja“ seinen Sinn, um sich dem umgebenden Satz besser anzupassen. Welche Gemeinsamkeiten, werden Sie mir entgegenhalten, bestehen denn zwischen zwei Silben der Umgangssprache und diesem raffinierten Reptil?

Nach Expertenmeinung hängt die Farbe des Chamäleons vor allem von seinem Gefühlszustand ab. Wut, Stress, Brautschau, Trächtigkeit, Unterwerfung aktivieren jeweils unterschiedliche Pigmente. Das kampfbereite Männchen färbt sich wie der Regenbogen. Es will den Gegner beeindrucken. Auf der Jagd passt es sich der Erde an. Es will seine Beute überraschen.

„Na ja“ folgt demselben Prinzip. Ganz nach Emotion ändert es sich radikal. Alles liegt in der Intonation und in der Mimik. Je nachdem, ob die Stimme steigt oder sinkt, ob der Ton heiter oder kränklich ist, ob die Stirn sich runzelt, der Blick am Boden klebt oder die Arme wie Windmühlenflügel durch die Luft schlagen – mit großer Finesse dekliniert „Na ja“ die ganze Skala der Gefühle. Aber Vorsicht! Leicht täuscht man sich über seine Bedeutung, und das kann gefährlich werden. Bei „Na ja“ muss man auf der Hut sein, die Ohren spitzen, die Augen offen halten. Da gibt es das verächtliche: Zwei mal zwei trockene Buchstaben, flüchtig ausgeatmet, wobei der Kopf geschüttelt wird, die Augen gen Himmel rollen, übertrieben geseufzt wird. Dieses „Na ja“ sagt nichts, denkt aber umso mehr. Es boxt sich durch die zusammengepressten Zähne und Lippen, den Damm gegen eine Welle von Klatsch, Boshaftigkeiten, Schadenfreude und Missgunst. Dieses „Na ja“ ist eine Zeitbombe. Es ist das Erkennungssignal der Tratschtanten, Giftzungen und anderer Agitatoren.

Es gibt das fatalistische „Na ja“. Das bezieht sich auf ein dichtes Schweigen, eines dieser ausweglosen Schweigen, weil das Leben ja sowieso keine Antworten kennt, keine Linderung der Schmerzen, keine Hoffnung. Man muss sein Los hinnehmen, basta. Dieses „Na ja“ wird gemurmelt, der Rücken ist gebeugt, die Wangen schlaff, der Mund halb geöffnet, der Blick verschleiert. Es fehlt ihm an Spannung. Es ist trist und kraftlos. Grau und grämlich. Ich mag es nicht. Es deprimiert mich.

Das pragmatische „Na ja“ dagegen packt den Stier bei den Hörnern. Bei ihm schwingt ein Fragezeichen mit, das vor dem Aufprall einen Moment in der Luft hängt: Wir könnten vielleicht vorschlagen … oder ich sollte doch mal probieren. Genau das Gegenteil vom vorigen „Na ja“. Dieses hier lässt nie die Arme hängen. Es sucht den Kompromiss, den Ausweg. Hören Sie nur, wie die Stimme sich hebt, in der Luft schwebt und die Lösung im Flug auffängt. Es ist nicht defätistisch. Es ist ein kreatives „Na ja“, es weiß, dass man mit ein wenig Fantasie und Enthusiasmus jede Lage entspannen kann. Es stürzt sich ins Leben und schreckt vor keinem Hindernis zurück. Ein sympathischer Dickschädel. Ein Optimist von Natur aus.

Es gibt das militärische, das vorwurfsvolle „Na ja“. Hören Sie nur auf den metallischen Klang des Ja und auf die vor Zorn zugeschnürte Stimme. Das „Na ja“ der Herausforderung und des Angriffs. Es ist bereit, die Bombe zu zünden, um die Welt zu ändern. Das unnachgiebige „Na ja“ der Schlacht kämpft ohne Charme und ohne Raffinesse.

Und es gibt das heitere kleine „Na ja“, das auf einen Schlag, mit einem Schulterzucken, Enttäuschung und Bitterkeit wegwischt. Es wird mit einem ruhigen Lächeln geäußert. Es bildet einen Abschluss und möchte gern schnell weitergehen, denn das Thema ist so viel Aufmerksamkeit, so viel vergebliche Mühe nicht wert, und diesen sonnigen Morgen sollte man nicht mit so unangenehmen Gedanken ruinieren. Na ja … Schluss damit, Schwamm drüber. Wir bestehen nicht drauf. Werfen wir uns lieber in den munteren Trubel des Tages. Ein sehr weises „Na ja“, weil es sich nicht an hoffnungslose Situationen klammert und seine Zeit nicht mit aussichtslosen Gefechten verliert. Ja, weil es weiß, dass das Leben zu kurz, zu fragil, zu kostbar ist, um es zu vergeuden. Ich muss zugeben, dass das mein liebstes „Na ja“ ist.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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