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Mon BERLIN: Spielen wir lieber Mau-Mau

Und zu Silvester machen wir Listen: das Beste, Schlimmste, Schönste des Jahres

Es geht doch nichts über ein Gesellschaftsspiel, wenn man die letzten Stunden des Jahres in heiterer Stimmung verbringen will, während man auf die zwölf Glockenschläge wartet, auf die Umarmungen und die Kakophonien der Böller. Liest man allerdings die Zeitungen, so wurde das klassische Mau-Mau vom Hitlistenspiel entthront. Das Wort des Jahres? Der Mann/die Frau des Jahres? Das wichtigste Ereignis des Jahres? Die beste Fernsehsendung? Der schönste Fauxpas? Als wäre die ganze Nation plötzlich dem Zwang verfallen, die Verdienste in absteigender Reihenfolge zu ordnen, Medaillen für gutes Benehmen zu vergeben, Auszeichnungen oder Rügen.

Es ist die Zeit der Tops und Flops, der schallenden Ohrfeigen, der spektakulären Pannen … All diese kleinen Nobelpreise der Armen werden in Massen verteilt.

Ich erinnere mich an einen Silvesterabend Mitte der 80er Jahre, in einer Bergwerkstadt in Yorkshire. Der Vater einer seit Generationen gewerkschaftlich organisierten, klassenbewussten und kämpferischen Familie schlug seinen Kindern vor, ein Quiz der Bösewichter zu spielen: „Der grausamste und schrecklichste Politiker, der je in Europa geherrscht hat?“, fragte er. „Leicht!“, schrie die Tochter, ohne eine Sekunde zu zögern. Leicht, das stimmt. Man braucht nicht mal nachzudenken. Aus allen Mündern schallten im Chor zwei Silben. Nur das Mädchen war anderer Meinung. Mit einer angewidertem Grimasse rief es: „Margaret Thatcher!“ Gerade hatte die Eiserne Lady den monatelangen Bergarbeiterstreik zerschlagen, sie hatte die Gewerkschaften geknebelt und England so umgekrempelt, dass es auch nach ihrer Zeit nie mehr wie früher wurde. Der im ersten Moment perplexe Vater jubelte. Er hatte seine erzieherische Mission erfüllt: In den Adern seiner Tochter rollte das rote Blut des Klassenkampfes!

Soeben hat das Magazin „Tip“ die Palme des peinlichsten Berliners 2009 an Thilo Sarrazin verliehen. Wollte bei einem Silvesteressen in Berlin jemand den Wettkampf auf die europäischen Politiker ausdehnen, so könnte der arme Finanzsenator a. D. getrost nach Hause gehen. Nein, keine Panik, die deutschen Tischgenossen müssten sich nicht beunruhigen. Bis jetzt hat die deutsche Politik noch keinen Clown. Dagegen kenne ich zwei, die sich einen erbitterten Kampf um den ersten Platz liefern würden. Und schon steigt mir die Röte ins Gesicht, denn ich weiß, dass mein Präsident es mit Leichtigkeit in die engere Auswahl schaffen würde. Die Tischgenossen würden ein paar Beispiele aufzählen, um ihre Entscheidung zu begründen: „Casse toi, conard!“ (was die gut erzogenen deutschen Journalisten immer mit einem eleganten „Hau ab, du Dummkopf!“ übersetzen), ein Satz, den Nicolas Sarkozy einem unzufriedenen Wähler entgegenschleuderte, als der ihn im Vorbeigehen ansprechen wollte. Oder, noch ganz frisch, als der Präsident in seinem Blog behauptete, er habe den Fall der Mauer am 9. November 1989 höchstpersönlich miterlebt. „Was für ein Glück, dass du auch die Landung der Alliierten 1944 mitgemacht hast!“, hielt ein wütender Blogger unserem Präsidenten vor, der bei der Befreiung Frankreichs durch die Alliierten noch gar nicht geboren war.

Ein Glück, sage ich mir oft, wenn ich mal wieder im Boden versinken möchte, ein Glück, dass es da auch noch Berlusconi gibt, der Sarkozy den Rang abläuft! Ich muss Ihnen gestehen, dass ich diesen erstaunlichen Rivalen von der anderen Seite der Alpen durchaus schätzen gelernt habe. Ich empfinde sogar eine gewisse Zärtlichkeit für ihn. Jede seiner Eskapaden begeistert mich … die Orgien, die er in seinen Villen inszeniert, sein Hofstaat von Nymphchen mit ihren aufgespritzten Lippen und ihren silikongefüllten Busen. Neben ihnen wirkt die schöne Carla fast ein wenig farblos. Man muss es ganz deutlich sagen: Sarkozy steht in Berlusconis Schatten. Im Vergleich zu ihm ist unser Präsident geradezu eine Verkörperung der Tugend.

Das Problem ist nur, dass dieses kleine Spiel den ganzen Silvesterabend verderben könnte. Auf keinen Fall darf man sich von Scham und Wut unterkriegen lassen. All diese negativen Energien – das ist doch nicht gesund, wenn man das neue Jahr beginnen will! Wäre es nicht klüger, auf eine harmlose Partie Mau-Mau auszuweichen?

Bonne année!

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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