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Mon BERLIN: Uckermark schlägt New Hampshire

Es war vor ein paar Wochen in Paris. Auf der Redaktionskonferenz suchte man nach Themen für den Sommer. Vorschlag des Chefredakteurs: die Urlaubseskapaden der internationalen Staatschefs.

Als Erster ergreift der Frankreichchef das Wort. Er zeigt opulente Fotos vor, mit denen sich jede Menge Seiten füllen lassen: Nicolas Sarkozy, unser neuer Präsident, verbringt seine Ferien auf einem luxuriösen Anwesen in New Hampshire. Geschätzter Preis des Domizils: 22.000 Euro pro Woche. Mehr, als ein präsidentielles Jahresgehalt hergibt. Den ganzen Sommer über debattiert Frankreich über die Frage, wer wohl den Urlaub bezahlt. Dann ergreifen der Reihe nach die Auslandskorrespondenten das Wort. Sie erzählen von Villen am Meeresufer, von den Weiten der Prärie, in denen sich noch die luxuriöseste Ranch klein ausnimmt. Ein Foto von Sarkozy macht die Runde, mit nacktem Oberkörper, ganz Bizeps und Rolex, wie er im Boot über den See von Winnipesaukee rudert. Bilder von Cécilia werden herumgereicht, der schönsten, erotischsten, elegantesten und frechsten First Lady von allen. In solchen Dingen wird Frankreich ungern von anderen Ländern überboten. Die Redakteursrunde erinnert sich an Giscard d’Estaings Jagdausflüge in Afrika, Mitterrands Reisen nach Ägypten, Chiracs marokkanische Wochenenden.

Bald sind London, Madrid und Kopenhagen aus dem Rennen. Allein der Rom-Korrespondent und der Frankreichchef streiten weiter um die Führung. Sie erhöhen die Einsätze. Sie beschreiben Swimmingpools am Meeresrand, märchenhafte Herrenhäuser in schattigen Riesenwäldern, Privatjachten, verschwenderische Shopping- Exkursionen, Privatstrände an smaragdgrünen Meeresbuchten am Ende der Welt. Alles in diesen Fantasiereichen ist Luxus und Glanz, alles ist für die Stars gemacht und für den Durchschnittsleser außer Reichweite.

Am hinteren Ende des Tisches mache ich mich ganz, ganz klein. Ich verstecke mich hinter den muskulösen Schultern des Washington-Korrespondenten und hoffe, dass alle mein kleines, bescheidenes Deutschland vergessen. Still höre ich zu, mit offenem Mund und großen Augen. Es kommt mir vor, als würden vor mir die Schätze des Ali Baba ausgebreitet. Ich schäme mich für Helmut Kohls Wolfgangsee. Selbst mit Gerd Schröders Brioni-Anzügen würde ich meinen Kollegen nicht mal bis zum Knöchel reichen. „Und, was sagt Deutschland, da hinten am Tischende?“, wirft mir plötzlich der Italienkorrespondent zu. „Wie sieht Angela Merkels Ferienvilla aus?“

Die Mission eines Auslandskorrespondenten besteht darin, stolz das Land zu verteidigen, das er repräsentiert. Also richte ich mich auf, räuspere mich, fasse Mut und stürze mich in die Schlacht. Ich beschreibe ein kleines, weißes, schlichtes Haus, das am Ende eines Trampelpfads in der Umgebung von Templin in der Uckermark liegt. Am Horizont: Felder, Hügel, ein paar schmatzende Kühe. Drinnen: Angela Merkel, die für ihren Mann eine rustikale Mahlzeit zubereitet. Wiener Schnitzel, Kartoffelsuppe. Sie lesen, wandern, gehen in einem kleinen, versteckten Waldsee schwimmen. „Mann, das ist ja total kleinbürgerlich!“, sagt eine empörte Stimme zu meiner Rechten. „Hast du uns nichts Glamouröseres anzubieten?“

Schnell wechsele ich die Strategie und versuche, die Tugendhaftigkeit meiner Kanzlerin zu preisen, ihre Bescheidenheit, die Transparenz der deutschen Staatsfinanzen, die moderaten und aus eigener Tasche beglichenen Urlaubskosten der Kanzlerin. Ich erwähne, dass ihre Bodyguards diskret sind und ihr Mann unsichtbar, dass kein Journalist zum Sommerinterview in ihren Garten eingeladen wurde. Sarkozy dagegen hat im Laufe zweier „Urlaubswochen“ 16 Pressekonferenzen gegeben.

Die Runde schweigt. Man will mir nicht glauben. „Dann ist Angela Merkel eben eine Ausnahme! Was machen die anderen deutschen Politiker?“ Ich schildere Edmund Stoibers Vorliebe für die bayrischen Alpen. Ich erwähne, dass Gregor Gysi barfuß auf einer Nordseeinsel gesichtet wurde. Der Italienkorrespondent scharrt ungeduldig mit den Füßen. Der Frankreichchef hält sich den Bauch vor Lachen. London zuckt süffisant mit den Schultern.

Ein letztes Mal versuche ich, meine Kollegen zu beeindrucken. Ich spiele meinen Joker aus: Laut Umfragen hätte jeder dritte Deutsche Lust, seinen Urlaub mit Angela Merkel zu verbringen. Der Frankreichchef macht sich fast in die Hosen. „Ferien mit Sarko?“, ruft eine entsetzte Stimme zu meiner Linken, „ein Albtraum!“ Der Washington-Korrespondent fällt in sich zusammen wie ein geplatzter Ballon. Ich aber fühle mich besser und besser an meinem Tischende. Ich habe den Italienkorrespondenten mit seinem gelifteten Berlusconi überholt und den Frankreichchef mit seinen wegretuschierten Sarkozy-Speckröllchen. Vergessen ist New Hampshire – die Uckermark hat gewonnen!

Aus dem Französischen übersetzt von Jens Mühling.

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