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Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues liest und diskutiert im Tagesspiegel-Salon.

© Thilo Rückeis

Mon BERLIN: "Zwanzig Scheiden Parmaschinken, bitte!"

Madame kann Deutsch! Trotzdem schreibe ich auch nach 20 Jahren in Deutschland Kolumnen wie diese lieber auf Französisch.

Bei jeder Lesung kommt die Frage: Warum schreiben Sie denn nicht auf Deutsch? Meist klingt sie erstaunt und wohlwollend: Sie sprechen doch fließend Deutsch... Aber manchmal ist auch eine latente Aggression, ein Tadel herauszuhören: Kann Madame immer noch kein Deutsch! Nach mehr als 20 Jahren in diesem Land! Und schon fühle ich mich wieder wie damals im Lycée Fustel in Coulanges, Deutsch als erste Fremdsprache und keinen Bock, angesichts von Monsieur Sturm, unserem alten Deutschlehrer mit seinen vielen Tics und seinen rieselnden Schuppen, der mich mit sadistischen Blicken bedenkt, wenn er mir meine mäßige Klassenarbeit zurückgibt. Und dabei die Hosenträger auf seinen monumentalen Wanst klacken lässt.

Wie ist es also möglich, dass man eine Sprache beherrscht und trotzdem nur in seiner Muttersprache schreiben kann? Äußerst selten ist jemand wirklich zweisprachig. Der Russe Wladimir Nabokov und der Pole Joseph Conrad schrieben auf Englisch, der Ire Samuel Beckett auf Französisch. Sie bestätigen als Ausnahmen die Regel: Um in einer Sprache zu schreiben, muss man seit der frühesten Kindheit in ihr gelebt haben, man muss in ihren Klängen gebadet haben, bevor man überhaupt ein Wort sagen konnte.

Nein, eine Sprache lernt man nicht am Abend in der Volkshochschule oder auf einer Schulbank. Sie muss mit Emotionen, Erinnerungen, Gerüchen aufgeladen sein. Vergessen Sie unregelmäßige Verben und Shakespeare – um wirklich Englisch zu lernen, verlieben Sie sich am besten in einen native speaker. In wenigen Monaten werden Sie rasante Fortschritte machen. Diese Methode ist nicht nur viel wirkungsvoller, sondern auch wesentlich genussvoller. Die Sprache meiner Mutter war Französisch. Niemals sprach sie Deutsch mit mir, obwohl (oder vielleicht: gerade weil) sie als Elsässerin im Krieg die deutsche Schule besuchen musste und die Sprache perfekt beherrschte.

Mit elf Jahren sind die Würfel gefallen, sagen die Linguisten. Die zweite Sprache kann nicht mehr Muttersprache werden. Man behält einen Akzent. Manchmal sucht man nach Wörtern. Man fühlt sich nicht wirklich zu Hause. „In einer zweiten Sprache kann man nicht wohnen. Ich bin ein Fremder, der sich im Französischen wohlfühlt, aber ein Fremder bin ich trotzdem“, sagte mir mein alter Freund John Ron in Berkeley.

Als Berliner Jude – er wäre heute mein Nachbar – emigrierte er 1938 nach Palästina und lernte nach und nach Hebräisch, Arabisch, Englisch, Italienisch – und Französisch, seine Herzenssprache. Deutsch spricht er nur zögernd und nur, wenn es nicht anders geht. Deutsch, seine Muttersprache, wurde besudelt. Diese Sprache ist schwer von Zorn und Schmerz. Das Französische ist seine Ersatzsprache.

Er spricht es mit einer etwas altmodischen Eleganz. Weder Grammatikfehler (er macht keine) noch ein Akzent (er hat keinen) verraten ihn, vielmehr diese kaum wahrnehmbaren Abweichungen, jene Stellen, an denen der Satz stolpert und etwas verbogen weitergeht. Ein Adverb zu viel. Eine schlecht gebildete Zeitform. Ein nicht ganz dem Sinn entsprechendes Wort, wie ein zu großes Jackett, das sich dem Körper nicht anschmiegt. Eine Winzigkeit. Der Ire Joyce sagte, er wolle die englische Sprache von innen heraus „boykottieren“. Ich liebe die kleinen Sprengladungen, die Ausländer in ihren Sätzen deponieren, wenn sie sich in einer anderen als ihrer Muttersprache bewegen.

Ein paar Monate nach meiner Ankunft in Berlin verlangte ich in einem italienischen Delikatessengeschäft mit lauter Stimme: „Zwanzig Scheiden Parmaschicken, bitte!“ Die Warteschlange brach in ein kollektives Gelächter aus. Wie leicht verwechselt man „d“ und „b“. Um mich nicht lächerlich zu machen, verlangte ich jahrelang „zwanzig Stück Parmaschinken“. Und ich verwechsele immer noch „das gleiche“ und „dasselbe“, den Dativ und den Akkusativ.

Egal. Man muss sich begeistert in den Fluss einer Sprache stürzen können, sie sprechen, ohne nachzudenken. Vor allem darf man sich bei der Wahl der Wörter nicht verkrampfen oder sich an die Grammatikregeln klammern.

Aber vielleicht schreibe ich noch aus einem anderen, tieferen Grund weiter auf Französisch. Wenn man im Ausland lebt und sich von morgens bis abends nicht in seiner Sprache verständigt, welche Freude ist es dann, lesend und schreibend zu seiner Muttersprache zurückzukehren. Welche Freude, seine Wörter zu kneten, jede Nuance, jede Färbung zu spüren. Gerade weil die Jahre leichter Entfremdung eine gewisse Distanz hervorgerufen haben. Die Wörter bekommen ihre Konturen zurück. Man nimmt sie bewusster wahr. Eine Art des Wiederfindens. Ein wahres Geschenk.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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