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Meinung: Müssen Politiker ehrlich sein?

„Spione wird es immer geben“ vom 26. Oktober Man muss Herrn Martenstein aus rationaler Sicht wohl recht geben: Spionage ist, völkerrechtlich gesehen, legal; Staaten haben das Recht, fremde Spione zu bestrafen; zwischen Staaten gibt es keine echten Freundschaften, sondern gemeinsame Interessen, es gibt kulturelle oder historische Verbindungen; in der Politik ist moralische Empörung keine besonders intelligente Reaktion; wenn ich auf der Straße überfahren werde, bin ich auch ein klein wenig selber schuld.

„Spione wird es immer geben“ vom 26. Oktober

Man muss Herrn Martenstein aus rationaler Sicht wohl recht geben: Spionage ist, völkerrechtlich gesehen, legal; Staaten haben das Recht, fremde Spione zu bestrafen; zwischen Staaten gibt es keine echten Freundschaften, sondern gemeinsame Interessen, es gibt kulturelle oder historische Verbindungen; in der Politik ist moralische Empörung keine besonders intelligente Reaktion; wenn ich auf der Straße überfahren werde, bin ich auch ein klein wenig selber schuld. Und er vermutet, dass auch die Deutschen zu allen Schandtaten gegenüber befreundeten Staaten bereit wären, wenn sich ihnen die Möglichkeit bietet. Aber dennoch: Gehört zu kulturellen Verbindungen und zu Freundschaften zwischen Staaten und politischen Verantwortlichkeiten nicht auch die Frage der Übereinstimmung der „Chemie“ zwischen den Beteiligten, die Einhaltung von moralischen Werten, ohne die die Welt verrohen würde. Hätte die „intelligente Reaktion“, nämlich ohne Empörung auf die Verletzung dieser Werte zu reagieren, nicht verheerende Auswirkungen auf die Privatsphäre? Wenn bei mir eingebrochen wird, soll dann in erster Linie die Frage „Habe ich da gepennt?“ im Vordergrund stehen, wie es Thomas Walde ganz im Sinne von Herrn Martenstein insistierend gefragt hat? Sollen Vertrauen, Verlässlichkeit und ein Mindestmaß an Ehrlichkeit aus der Politik herausgehalten werden? Sollen wir zum Beispiel auch unseren Bundespräsidenten unterstellen müssen, dass sie „ein bisschen tricksen“, oder dürfen wir zu Recht empört sein, wenn der eine oder andere es dennoch tut?

Gerd Maaß, Berlin-Lankwitz

Lieber Herr Maaß,

Verlässlichkeit und Ehrlichkeit sind wünschenswerte Eigenschaften, da sind wir einig. Allerdings müssen alle Werte, zumindest fast alle, immer gegen andere Werte abgewogen werden. Mein Lieblingsbeispiel: das hässliche Kind. Wenn mich ein meiner Ansicht nach hässliches Kind fragen würde, ob es denn meiner Ansicht nach hässlich sei, würde ich lügen. Es gibt menschenfreundliche Lügen, und es gibt Lügen, die einem guten Zweck dienen. Die Politik sei ein schmutziges Geschäft, heißt es oft. Aber es kommen doch immerhin manchmal positive Ergebnisse dabei heraus. Wenn ich das Lebenswerk eines Politikers zu beurteilen hätte, würde ich als Erstes danach fragen, was er erreicht und wofür er sich eingesetzt hat. Einen Politiker, der sich trickreich und mit manchmal fragwürdigen Mitteln darum bemüht, einen Krieg zu verhindern, sehe ich positiver als jeden grundehrlichen Diktator. Hitler war in vielerlei Hinsicht ehrlich und verlässlich, er hat meistens offen gesagt, was er will. Im Schachspiel, das der Politik nach Ansicht vieler Kenner ähnelt, ist es üblich, den Gegner in Fallen zu locken und ihn zu täuschen. Jeder Spieler weiß das, und auch in der Politik kennen die meisten die Regeln. Staaten können Bündnisse eingehen, aber daneben gibt es zwischen ihnen immer auch ein Konkurrenzverhältnis. Es geht um Aufträge für die Wirtschaft, um Einfluss, um Macht und Wohlstand. Die Europäische Union wurde bisher auch dadurch zusammengehalten, dass jeder einzelne Staat sich von dem Zusammenschluss für sich selbst mehr Wohlstand und Einfluss in der Welt versprochen hat. Die deutsche Überraschung darüber, dass unsere Partner uns ausspionieren, finde ich naiv. Es ist so, als ob man darüber staunt, wenn in einem wichtigen Fußballspiel zwischen zwei befreundeten Vereinen Fouls vorkommen und Elfmeter geschunden werden. Unsere Empörung wird durch den Zufall gespeist, dass wir durch Edward Snowden inzwischen vieles über den amerikanischen Geheimdienst wissen, aber fast nichts über das, was die Russen tun, die Franzosen, oder unser eigener Geheimdienst. Wir kennen nur ein einziges Puzzleteil aus einem sehr großen Bild. Sind die Deutschen wirklich so viel sauberer in ihrer Spionagetätigkeit? Wir wissen es nicht. Wir dürfen allerdings in der Zeitung lesen, dass unsere künftige Regierung in den Koalitionsgesprächen über die Einführung der Vorratsdatenspeicherung diskutiert. Das ist dem, was die NSA getan hat, nicht ganz unähnlich. Ich bin dagegen. Aber es relativiert meine Empörung über die USA, zu wissen, dass meine eigene Regierung ähnlich tickt.

Sie fragen nach dem Bundespräsidenten. Der Bundespräsident ist in der privilegierten Situation, sich aus dem Machtkampf der Parteien heraushalten zu dürfen, wahrscheinlich trickst er nur wenig. Er hat es nicht nötig. Aber der Besetzung dieses Postens geht fast immer ein großes Getrickse und Geschiebe zwischen den Parteien voraus. Ich fürchte, dass jede Politik scheitern muss, die ausschließlich auf Vertrauen, Verlässlichkeit und Ehrlichkeit beruht. Blindes Vertrauen ist dumm. Verlässlichkeit stößt an ihre Grenzen, wenn vitale Interessen berührt werden. Deutschland hat – zu Recht, finde ich – dem Partner USA im Irakkrieg die Gefolgschaft verweigert, aus Sicht der USA sind auch wir nicht immer verlässlich. Totale Ehrlichkeit eines Politikers aber kann dazu führen, dass er sich zahllose Feinde macht und seine Ziele wahrscheinlich nicht erreicht.

Auf die Ziele kommt es an. Aber Sie haben recht, der Zweck darf nicht die Mittel heiligen, es muss Grenzen geben, Verbrechen und Betrug zum Beispiel müssen Tabus bleiben. Helmut Schmidt hat dazu einmal sinngemäß gesagt: Man darf als Politiker den Leuten nicht ins Gesicht lügen. Aber man muss auch nicht immer die volle Wahrheit sagen.

— Der Autor Harald Martenstein ist Kolumnist des Tagesspiegels.

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